Warum wir kontinuierlich
neue Freunde suchen sollten
Klassentreffen enden oft mit Umarmungen und dem Satz:
Wir sollten uns unbedingt öfter sehen …
In 99 Prozent der Fälle wird daraus nichts.
Denn Schulfreunde sind manchmal wie Familie. Wir sind uns
nahe, aber wir haben uns gegenseitig nicht ausgesucht.
BY THE EDITOR // KARIN M. KLOSSEK
Die Erfahrungen, die wir im Laufe der Jahre machen, verändern uns und unsere Freundschaften. Mit dem damals besten Schulfreund finden wir kein gemeinsames Gesprächsthema mehr; mit der Klassenkameradin, die wir damals nicht beachtet haben, reden wir uns nach Jahren beim Klassentreffen an der Bar fest und tauschen lachend und ernst sehr private ähnliche Erfahrungen und Erlebnisse aus.
Zwei meiner besten Freundinnen aus der Schulzeit gehören bis heute zu den Menschen, deren Freundschaft, Rat und Wertschätzung mir ganz besonders wichtig sind. Wir leben an unterschiedlichen Orten, unser Alltag gleicht sich nicht und unsere Träume sehen unterschiedlich aus.
Aber gemeinsame Werte, ähnliche Einstellungen und ein ganz besonderer Humor, der nicht selten an Sarkasmus grenzt, verbinden uns über viele Kilometer hinweg. Die gemeinsamen Schuljahre haben uns sicher geprägt, aber das ist es nicht allein. Mehr wiegt aus meiner Sicht die Lebensweisheit: Birds of a feather flock together — auch dann, wenn man sich, wie in diesem Fall, jahrzehntelang nicht gesehen hat oder gerade neu kennengelernt hat.
Freundschaften kommen, Freundschaften gehen
Viele meiner einstmals engen Freundschaften existieren hingegen nicht mehr. Für eine Zeit lang schien ein festes Band geknüpft und die Nähe war groß. Auf der einen oder anderen Seite gab es jedoch kleinere und größere Enttäuschungen, den sehr problematischen Faktor Neid oder so grundsätzlich unterschiedliche Ansichten zu einem wichtigen Thema, dass aus der Freundschaft Bekanntschaft wurde. Das reicht dann noch für Geburtstagsgrüße und die obligatorische Weihnachtskarte, aber dem Satz „Wir sollten uns mal wieder sehen“ folgt keine Investition in Zeit und Energie, ein Treffen tatsächlich zu realisieren.
Dabei sind Freundschaften für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden immer wichtiger, je erwachsener wir werden. Die mit einem großen Sample angelegte Langzeitstudie von William J. Chopik „Associations among relational values, support health and well-being across the lifespan“ (http://bit.ly/AbstractChopikStudy) fand heraus, dass über die gesamte Lebensspanne hinweg gemessen, Freundschaften und Familie einen großen Einfluss auf unser Wohlbefinden haben.
Während sich der positive Einfluss von Familienbeziehungen auf die Gesundheit eher statisch verhält, erwiesen sich langanhaltender Ärger und Stress aus Freundschaften, gemäß dieser Studie, als ein Indikator, der im 8 Jahresverlauf überproportional stark auf spätere chronische Krankheiten hinwies.
Das spricht dafür, Freundschaften, die keine mehr sind, zu beenden. Da einige Freunde, auch ohne Kenntnis dieser Studie, die Freundschaft mit uns beenden, wird der Kreis der Freunde zwangsläufig kontinuierlich kleiner.
Die Bedeutung neuer Freundschaften
Die Erkenntnisse der Studie zeigen, wie wichtig es ist, immer wieder neue Freundschaften zu schließen. Das fordert, offen zu sein für Begegnungen und Zeit darin zu investieren. Das Ende vieler Freundschaften, die zunächst für das Leben gemacht zu sein schienen, macht uns natürlich skeptischer und zurückhaltender und wir zögern sehr viel länger, das Wort Freundschaft statt Bekanntschaft zu verwenden.
Der Vorteil unserer guten wie schlechten Erfahrungen ist, dass wir lernen, uns selbst besser einzuschätzen und oft schneller erkennen, ob wir mit jemandem, den wir gerade kennenlernen, wohl freundschaftlich verbunden sein könnten.
Es lohnt sich unbedingt, in jedem Alter, neugierig auf neue Freundschaften zu bleiben, Gemeinsamkeiten zu entdecken und alte wie neue Freundschaften zu pflegen. Und das, obwohl in der Regel die Zeit, die uns dafür zur Verfügung steht, immer geringer zu werden scheint. Es gibt berufliche Verpflichtungen, Verantwortung gegenüber Kindern und Eltern, scheinbar endlose To do Listen, die abzuarbeiten sind und immer mehr Menschen pendeln jeden Tag oder jede Woche nicht unerhebliche Distanzen.
Nie war es leichter, Freundschaften zu pflegen
Via E-Mail, WhatsApp, Skype, Videokonferenzen oder über andere Kanäle – nie war es leichter, Freundschaften auch über Kontinente hinweg, zwischen persönlichen Treffen, zu pflegen. Eine gute Freundin erzählt, dass Sie als Kind im Bett lag und hörte, wie ihre Mutter im unteren Stockwerk noch bis tief in die Nacht auf einer Schreibmaschine stundenlang Briefe an ihre Freunde schrieb und deren Briefe beantwortete.
Die Zeit und die Disziplin, diese Freundschaften über Kontinente hinweg und mit einem enormen Aufwand zu pflegen (vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an die hauchdünnen Luftpost-Papiere, die man vor Jahrzehnten nutzte, als das Internet noch nicht erfunden war) haben dieser Dame geholfen, im hohen Alter ihr Leben zwangsläufig völlig neu auszurichten, aus den USA wieder nach Europa zu übersiedeln und dort schnell anzukommen.
Denn, wenn es hart auf hart kommt, sind es Freunde, die uns wieder aufrichten, uns den Spiegel vorhalten oder einfach nur handeln, ohne groß zu fragen. Bei Arbeitskollegen, mit denen wir oft sehr viel Zeit verbringen und manchmal sogar Freundschaften entwickeln, erhalten wir eine Antwort auf die Frage, war es wirklich Freundschaft, Kollegialität oder gar Täuschung am ersten Tag, nachdem wir das Unternehmen verlassen haben. Ganz wenige echte Freundschaften bleiben, beim Rest gilt: „Der König ist tot, lang lebe der König“. Ein Grund mehr, kontinuierlich neue Freundschaften zu suchen.
Wie viele neue Freundschaften haben Sie in den letzten Jahren geschlossen?