Das Buch der Sommelière Paula Bosch. Für jedes Glas geeignet.
Wissenswerte zu Wein im Restaurant, im Handel und die Zukunft des Sommelièrs
Ohne jeden Respekt
Auf das Buch „Eingeschenkt“ von Paula Bosch sind wir in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gestoßen. Die komplett respektlosen, ätzenden Kommentare unter dem Artikel zum Buch veranlassten uns, das Buch zu erwerben:
„Wer braucht heutzutage schon einen Sommelièr?“
„Völlig überflüssig, stiehlt mir nur Zeit“
Den unsäglichen Originalton der Kommentare ersparen wir Ihnen.
Wir haben einigen Sommelières viele spannende Weinentdeckungen und interessante Gespräche zu verdanken und waren interessiert, was eine ausgezeichnete Sommelière über Weine, Winzer und die Zukunft der Branche denkt.
Paula Bosch – Die erste Sommelière Deutschlands
Man glaubt es kaum, aber der Beruf des Sommelièr war in Deutschland bis in die 90er Jahre eine reine Männerdomäne.
Paula Bosch, die sieben Jahre als Chef-Sommelière im Restaurant Victorian in Düsseldorf und anschließend fast zwanzig Jahr im legendären Restaurant Tantris in München gearbeitet hat, war die einzige Sommelière in Deutschland, als sie 1988 vom Gault & Millau 1988 zur „Sommelière des Jahres“ ausgezeichnet wurde.
Schon als Kind durfte sie ihre Mutter und Patentante auf Reisen zum Einkauf von Wein nach Österreich, insbesondere in das Burgenland begleiten. Die Reisen durch die schönen Weinlandschaften begeisterten sie und ihre Neugierde, vor Ort bei Winzern interessante Weine zu entdecken, ist unverändert.
Probieren und studieren
Auch die Amerikanerin Victoria James beschreibt in ihrem Buch Wine Girl, dass der Weg zur Sommelière den Erwerb von immensem Detailwissen und das umfangreiche Probieren von Weinen erfordert: Am Arbeitsplatz im Restaurant, auf Exkursionen in Weingebieten und ebenso durch den privaten Kauf von Weinen.
Das Probieren von teuren Weinen sieht Paula Bosch als Achillessehne in der Ausbildung zukünftiger Sommelière-Generationen.
Die Preise für renommierte und entsprechend weltweit gefragte Spitzengewächse haben sich in astronomische Höhen bewegt, so dass Nachwuchs-Sommelièrs in ihrer Ausbildung oft keine Chance mehr haben, diese Weine zu probieren und Erfahrungen hierzu aufzubauen.
Paula Bosch und einige ihrer Gesprächspartner im Buch sehen daher interessanterweise keine große Zukunft für den Sommelièr-Beruf in der exklusiven Top-Gastronomie.
In Restaurants wie dem Masa in New York in dem der Menüpreis bei 800 US-Dollar (ohne Getränke) beginnt oder im englischen Beaverbrook Estate, auf dessen Weinkarte ein Wein unterhalb von 1000 Englischen Pfund kaum zu finden ist, kann man aus ihrer Sicht leicht auf den Sommelière verzichten.
Die Mehrzahl der Gäste dort kennt die prestigeträchtigsten Weine oder gibt vor, sie zu kennen. Weinbestellung als eine Form des Name-Dropping.
Weitaus bessere Aussichten, in einem Restaurant als Sommelière zu arbeiten, werden in den Restaurants gesehen, die nicht nur die teuersten Gewächse führen und deren Gäste interessiert sind, dazuzulernen und neue Entdeckungen im großen Feld des nationalen und internationalen Weinangebotes zu machen.
Pizzeria mit Sommelière
Daniel Kurosh, Sommelière aus Restaurants, die der Guide Michelin über viele Jahre mit drei Sternen dekoriert hat, arbeitet heute für nineofive, das mittlerweile nicht nur in München, sondern auch in Augsburg, Düsseldorf, Jena und Regensburg das klassische Programm einer guten Pizzeria mit anspruchsvollen Weinen kombiniert.
Ein Konzept, das sofort einleuchtet: Der Genuss einer guten Pizza wird mit einem guten Wein zum wunderbaren Vergnügen. Wer kann schon von sich behaupten die vielen guten italienischen Weine der unterschiedlichen Regionen zu kennen. Und welcher Wein passt zur Pizza, wenn man sie mit extra Sardellen liebt?
Weintipps werden Sie in diesem Buch nicht finden
Nur eine Handvoll Lieblingsweine von Paula Bosch und ihren Gesprächspartnern werden erwähnt. Dafür enthält das Buch viele interessante Tipps und Anregungen für jeden, der am Wein interessiert ist.
Paula Bosch hält sich bei der Bewertung von einzelnen Weinen zurück, nimmt aber ansonsten kein Blatt vor den Mund, wenn es um Weinbegleitung, einige Taktiken des Online-Weinhandels, die berühmten Punktebewertungen von Weinen oder arrogante Gäste im Restaurant geht.
Neben Texten von Paula Bosch enthält das Buch unter der Rubrik „Ein Glas mit Paula Bosch“ Gespräche mit jungen Sommelièrs, Winzern, Köchen wie Hans Haas und Toru Nakamura, dem Gastronom Axel Bach, einem begeisterten Gast und Weinentdecker sowie der Schweizer Weinjournalistin Chandra Kurt.
Aus jedem dieser Gespräche kann man Wissenswerte lernen, das man sofort für den eigenen Weingenuss umsetzen kann.
Haben Sie jemals die AGBs Ihres Online-Weinhändlers studiert? Hier sollte man beispielsweise vorsichtig sein, wenn die Geschäftsbedingungen es erlauben, dass auch ein anderer Jahrgang, als der bestellte geliefert werden darf.
Auch die sogenannten Sonder-Editionen der Online-Händler sind kritisch zu betrachten, da selbst von renommierten Winzern dort bisweilen Weine vertreten sind, die sich im Vergleich zum sonstigen Angebot des Weingutes durch einen günstigeren Preis aber reduzierte Qualität auszeichnen.
Erweitern Sie Ihren Bekanntenkreis
Für den eigenen Weinkeller lohnt es sich, nach guten Weinhändlern vor Ort zu suchen und eine Beziehung aufzubauen. Insbesondere mit Weinhändlern, die im Gespräch nicht nur von ihrer eigenen Weinentdeckungen schwärmen, sondern die aufmerksam zuhören, Fragen stellen und mit guten Empfehlungen Kundenloyalität aufbauen möchten.
Geben Sie ungewohntem Wein eine Chance
Die erfahrene Sommelière Paula Bosch gibt auch Weinen, die ihr beim ersten Glas nicht schmecken, eine zweite und bisweilen dritte Chance und warnt vor Weinen, die beim Probeschluck mit vielfältigen Aromen verführen, aber das beeindruckende Entrée im weiteren Verlauf nicht halten können.
Wir alle haben unsere Geschmacksvorlieben und suchen unbewusst nach ähnlichen Geschmackserlebnissen. Oft erschließt sich ein Wein, der nicht in dieses Raster passt, erst nach dem zweiten oder dritten Glas – manchmal erst am nächsten Tag.
Bei Paula Bosch bleiben die geöffneten Flaschen erst mal in der Küche stehen, um sich am nächsten oder bisweilen sogar erst am übernächsten Tag zu beweisen.
Das ist übrigens eines der Argumente, die im Buch gegen die im Moment in fast allen Restaurants omnipräsente Weinbegleitung angeführt wird. Ein ungewohnter Wein, der vielleicht erst beim zweiten oder dritten Glas Vergnügen bereitet, hat so wenig Chancen entdeckt und fortan geliebt zu werden.
Zudem ist das Preis-Leistungs-Verhältnis von 0.1 Gläsern und Weinen, die nicht immer zu den Favoriten zählen, sondern vielleicht zwangsläufig im Bündel vom Restaurant gekauft werden mussten, um an die wirklich interessanten Weine zu kommen, nicht immer stimmig.
Die Zukunft ist biodynamisch
Nahezu alle Fachexperten, die im Buch vorkommen, sind der Meinung, dass die Zukunft den biodynamischen Weinen gehören, die im Moment noch einen relativ kleinen Marktanteil besitzen.
Im Buch von Paula Bosch, das 2022 erschien, wird für den deutschen Markt ein durchschnittlicher Preis von Weinflaschen, die im Handel erworben werden, ein Durchschnittspreis von EUR 3,00 pro Flasche genannt. Dafür ist Biodynamik mit dem höheren Arbeitsaufwand und größerem Risiko nicht möglich.
Reisen Sie zum Wein
Paula Boschs Liebe gehört den aufrechten Winzern, die bisweilen auf extremen Steillagen und den Launen der Natur ausgesetzt, harte Arbeit leisten, um uns einen guten Wein zu offerieren. Nach der Lektüre des Buches hat man Lust, sich stante pede in Weingebiete zu begeben, um zu studieren und zu probieren.
Dabei rät sie, wenn möglich ein Weingebiet in unterschiedlichen Jahreszeiten zu besuchen, um ein besseres Gefühl für die Gegend, ihre Menschen und das Klima zu erhalten. Auch dies ein Rat, den wir gut nachvollziehen können, denn unser Bild von der Champagne ist beispielsweise von eiskalten, nebligen Tagen, der harten Arbeit im Weinberg und den bodenständigen Gerichten dort geprägt. An sonnigen Erntetage sieht es in allen Weingegenden herrlich aus.
Der ideale Wegweiser zu noch mehr Weinwissen
Im Buch finden sich auch die Namen der wichtigsten Weinexperten, der Standardwerke zum Thema Wein und wichtige Internetseiten zum Thema Wein.
Für alle Freunde, die so wie wir den Rat eines guten Sommelière schätzen und die selbst noch mehr zum Thema Wein wissen möchten, kann man mit diesem leicht lesbaren aber fundierten Einstieg von Paula Bosch eine Freude machen.
Kritik
Ein wenig Wasser müssen wir in den Wein schütten: Das Buch hätte ein sorgfältigeres Lektorat verdient. Sätze, auch wenn sie noch so gut formuliert sind, möchte man nicht 2-3 mal im Buch wiederfinden.
Und auch die Produktion der Papierversion lässt zu wünschen übrig. Die Typographie ist sehr angenehm zu lesen, aber ein Buch sollte nicht nach dem ersten Lesen aus dem Leim gehen.
Wir trösten uns damit, viel dazugelernt zu haben und planen unsere nächste Reise in eine interessante Weinregion.
Wenn es noch etwas mehr zum prickelnden Thema Wein sein darf: Die ARTE Mediathek enthält einen sehenswerten Film „Crémant, der feine Elsässer zum Fest“. Darin kann man viel über Crémant sowie das Elsaß lernen und man sieht einen der bekanntesten Sommelièrs Frankreichs, Serge Dubs, bei der Arbeit.
Wer glaubt, dass Sommelièrs überflüssig sind, hat leider nie das Glück gehabt, einem guten Sommelièr zu begegnen.
Fotografien © GloriousMe