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KUNST UND KRIEG. DAS ARSENAL IN VENEDIG

KUNST UND KRIEG. DAS ARSENAL IN VENEDIG

Bitte nicht nur Disneyland, selbst mit bester zeitgenössischer Kunst

In dieser Woche fliegen die Spitzen der Kunstwelt nach Venedig zu den Eröffnungsveranstaltungen der Biennale di Venezia 2022. Zur gleichen Zeit werden wohl weitere Bomben die Reste der Hafenstadt Mariupol zerstören. Beides ist eng verbunden.

Marine, Macht und Magie

Auch GloriousMe zieht es bei jedem Besuch in der Lagunenstadt fast magisch in das Gebiet des Arsenal. Das einstmals weltweit größte Industrieareal, auf dem Schiffe für Handel und für Kriege gebaut wurden, ist neben den Giardini der Hauptausstellungsort der Biennale di Venezia.

Sofern Ihr Galerist Sie nicht auf die VIP-Liste der Previews gesetzt hat, lohnt es sich, bis Oktober oder November zu warten, um die Biennale, die 2022 unter dem Motto „The Milk of Dreams“ steht, mit etwas mehr Ruhe zu besuchen. Die Biennale ist bis zum 27. November 2022 geöffnet.

Die Lage am Meer, die Kanäle und Wasserbecken, die Kräne und der festungsartige Charakter des Arsenal lassen bis heute jeden Besucher den maritimen Charakter und die Historie spüren. 

Die Teile des großen Gebietes des Arsenals, die von der Biennale bespielt werden, sind hervorragend restauriert und im Moment mit spannender Kunst gefüllt.

Wenige Besucher dieses attraktiven Ortes ahnen, wie eng das Arsenal auch heute noch mit mit der Marine und so auch mit dem Krieg in der Ukraine verbunden ist.

Strategie auf den Weltmeeren

Das Arsenal war seit dem 12. Jahrhundert das Produktionszentrum der venezianischen Schiffsbauindustrie. Bis zu 200 Schiffe pro Jahr wurden hier pro Jahr gebaut, die Venedig zum reichen und mächtigen Handelszentrum werden und so manchen Krieg gewinnen ließen. Handelsströme bis zur Krim waren damals Normalität.

Die vorindustrielle, hochspezialisierte Produktion war hinter den hohen Mauern der Arsenale verborgen und der Zutritt nur wenigen Besuchern erlaubt. 

Für moderne Kriegsschiffe ist die Anlage mittlerweile zu klein. Bis heute betreibt die italienische Marine, die gerade stolz von ihrer erfolgreichen Teilnahme am gemeinsamen Nato-Manöver Cold Response berichtet, in den Arsenale ihre Führungsakademie.

Dort werden der Führungsnachwuchs der Marine aber auch zivile Spezialisten und zukünftige Diplomaten hinsichtlich zukünftiger Strategien auf den Weltmeeren unterrichtet.

In den gut geschützten Teilen der Anlage, die daher auch für den G20 Gipfel 2021 unter italienischer Führung genutzt wurden, sind die Hafenstädte Odessa und Mariupol mit Sicherheit Teil vielfältiger Überlegungen.

Kunst und Krieg

Die Ukraine nimmt an der diesjährigen Biennale in Venedig teil und präsentiert eine Arbeit des ukrainischen Künstlers Pavlo Makov. Die Arbeit „Fountain of Exhaustion. Aqua Alta“ war lange vor Kriegsausbruch konzipiert worden und beschäftigt sich mit dem Umgang mit Wasserressourcen. Damals wie heute und in der Zukunft immer stärker, auch ein Grund für kriegerische Auseinandersetzungen.

Mit Beginn des Krieges wurden Teile des Kunstwerkes aus Kiev nach Italien transportiert und dort fertiggestellt. Die Co-Kuratorin des ukrainischen Pavillons, Lizaveta German sprach anläßlich der Eröffnung der Biennale 2022 mit dem Magazin Monocle. Die Präsenz der Ukraine auf der diesjährigen Biennale ist ihr ganz besonders wichtig, um zu zeigen: „Ukraine is not just a country of disaster but one with a strong vision for the future“.

Der russische Pavillion wird bei dieser Biennale leer stehen. Die dafür nominierten russischen Künstler und ihr litauischer Kurator gaben vier Tage nach Beginn des Krieges bekannt, dass sie sich emotional nicht in der Lage sehen, wie geplant an der Biennale teilzunehmen. Sie sind zurückgetreten.

Wie steht es sonst um die Realität?

Das Arsenale, einst im Sumpf von Castello errichtet, nimmt nach wie vor etwa ein Zehntel des Stadtgiebetes von Venedig ein. Über Jahrzehnte waren weite Teile des Arsenals dem Verfall preisgegeben, wie so manche Industrieanlage vormaliger Jahrhunderte.

Der Biennale und den Geldern für Kultur aus öffentlicher und privater Hand ist es zu verdanken, dass Teile hervorragend restauriert wurden. Große Teile liegen nach wie vor brach und sollen nun schrittweise weiter erschlossen werden.

Zu Beginn des Jahres wurde ein Vertrag unterzeichnet, der die Entwicklung eines weiteren Theaters, eines Kunstforschungsinstitutes und Restaurants vorsieht.

L’Arsenale alla Città. Das Arsenal gehört der ganzen Stadt.

So sehr wir die Kunst auch lieben, wir können gut nachvollziehen, warum es im Februar 2022 Proteste in Venedig hierzu gab. Engagierte Bürger hatten ein Nutzungskonzept entwickelt, dass auch traditionellem maritimem Handwerk, Bootsvereinen und anderen realen Nutzern eine neue Heimat geboten hätte.

Siehe auch

Die Tradition der früheren Seefahrernation Venedig und ihre enge Beziehung mit dem Meer würde hier im Vordergrund stehen.

Wir wünschen dieser Initiative, die ihre Forderungen selten elegant, höflich und formvollendet an die verantwortlichen Politiker richtet, viel Erfolg.

Mehr Realität. Weniger Disneyland.

Denn Restaurants und Räume für Veranstaltungen hat Venedig bereits reichlich. Es gibt durchaus noch ruhige Teile in Venedig abseits des Touristenrummels. Diese benötigen dringend eine Stärkung.

Hervorragende Kunst gibt es auf und abseits der Biennale in Venedig auf Schritt und Tritt. Das möge auch so bleiben, aber Venedig nur als Hintergrund für Kunst zu nutzen, hat La Serenissima nicht verdient.

Wir hoffen, dass der ein oder andere Kunstschaffende in dieser Woche zwischen Prosecco und Ciccetti sich vergegenwärtigt, in welcher Umgebung sein oder ihr Smalltalk zu Kunstpositionen stattfindet und wem diese Sicherheit zu verdanken ist.

Mehr Realität und weniger Disneyland wird am Ende für alle einen guten Weg bedeuten.

 

Titelbild und Bildcollagen Venedig © GloriousMe | Pressephotos des Ukrainischen Pavillons auf der Biennale di Venezia 2022, Courtesy to the Ukrainian Pavillon, Arbeiten von Pavlo Makov.

 

 

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