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Bleiben wir auch nach COVID-19 auf Distanz ?

Bleiben wir auch nach COVID-19 auf Distanz ?

Eine aktuelle Studie sagt: Ja

 

Studienergebnisse zeigen, dass der physische Abstand, den wir in der Distanz zu anderen Menschen als angenehm empfinden, nach der Pandemie erheblich größer bleiben wird.

BY THE EDITOR

Mind the Distance

Eine gemeinsame Forschungsarbeit der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Johannes Gutenberg Universität Mainz, die kürzlich im Nature Magazin veröffentlich wurde, kam zu dem Ergebnis, dass der vor der Pandemie als angenehm empfundene Abstand von durchschnittlich 1.18 m am Ende der Pandemie im Schnitt 1.41 m beträgt.

Eine signifikante Erhöhung des Abstandes. Es wird sich zeigen, ob dieser größere Abstand auch über längere Zeit bestehen bleiben wird.

Unsere Vermutung lautet: Ja. Zu prägend war die weltweite Pandemie und ihre tatsächlichen und möglichen Folgen für Leben und Tod.

Wohfühl-Distanz

Preferred Interpersonal Distance (IPD) lautet der Fachbegriff für die Distanz, mit der wir uns im Abstand zu anderen Personen wohlfühlen. Diese Distanz wird seit jeher in wissenschaftlichen Untersuchungen gemessen.

Menschen, die uns sehr vertraut sind, lassen wir nahe an uns heran: 0 – 45 cm. Bei Freunden liegt der durchschnittliche Abstand bei 45 – 120 cm. Bei Fremden beträgt die Distanz 120 – 365 cm.

Wird dieser Abstand ungewollt verringert, reagieren wir mit Unwohlsein und versuchen, die von uns präferierte  Distanz wieder einzunehmen. Ein Erfahrung, die wir von nahezu jedem Besuch im Supermarkt kennen.

Im Gegensatz zu früheren Annahmen, ist der Abstand, mit dem wir uns wohlfühlen, nur bis zu einem bestimmten Grad vom Kulturkreis abhängig.

Starke Auswirkungen auf den Wohlfühlabstand haben hingegen einschneidende Erlebnisse wie lange Einsamkeit oder gar Isolation, die in der Regel zu einer Erhöhung des individuellen Abstandes führen.

Mehr Distanz auch nach der Pandemie gewünscht

In der Forschung vor der Pandemie galt als etabliert, dass der Raum, den wir im Verhältnis zu fremden Menschen als angenehm empfinden, kreisförmig ist und die Wohlfühldistanz mindestens einen Meter beträgt.

Die Hygienemaßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 sahen in nahezu allen Ländern einen Mindestabstand vor. In Deutschland lautete die Maßgabe 1.5 – 2 m. Die Wohfühldistanz in den strikten Lockdown-Zeiten lag am oberen Ende, bei 1.8 m. 

In Frankreich betrug der vorgeschriebene Mindestabstand 1,0 m, in den USA 1,8 m und in Japan 2,0 m.

Die Pandemie hat eine starke Veränderung unseres „normalen“ Verhaltens erfordert und den Wissenschaftlern ein großes Forschungsterrain im Alltagsumfeld eröffnet.

Gruß und Kuss Adieu?

Das Händeschütteln, ein wichtiger Teil der Begrüßungskultur in großen Teilen der westlichen Welt und bereits vor der Pandemie in vielen Arztpraxen abgeschafft, wird wohl nicht zurückkehren.

Der etwas alberne Ellenbogengruß oder der Faustgruß (komplett unlogisch und gerade auf dem Fußballfeld zu beobachten) wird hoffentlich auch verschwinden.

Tatsächliche Sympathie und Nähe ließ sich an der Art des Grußes noch nie nachvollziehen. Ein Corona-ideales Winken oder eine kurze Verbeugung ist oft herzlicher und bisweilen auch respektvoller als Bussi-Bussi vor und möglicherweise nach Corona. Namaste.

Frische Luft, der neue Luxus

Die Pandemie hat auch in diesem Bereich als Akzelerator gewirkt für einen Trend, den die Architektur bereits seit langem kennt. Fenster, die sich nicht öffnen lassen, um die Klimatisierung zu erleichtern, werden immer weniger akzeptiert. Gärten, Terrassen, Balkone und Dachterrassen, haben überproportional an Attraktivität gewonnen.

Wir haben alle internalisiert, dass frische Luft unser Freund ist. Unser Empfinden der Distanz verändert sich in geschlossenen Räumen. Je niedriger die Deckenhöhe desto stärker unser subjektives Empfinden, den Abstand zu anderen Menschen vergrößern zu wollen.

 

Die aktuelle Architektur Biennale in Venedig versucht Antworten auf die Frage: How will be live together? zu finden.

Dabei geht es um neue Konstellationen von Haushalten, das Zusammenleben über Grenzen hinweg und auf unserem Planeten, aber auch um die Individuelle Nähe und Distanz.

Siehe auch

Welche Freundschaft überleben die Pandemie ?

Auch auf Freundschaften hat die Pandemie weitreichende Auswirkungen. Drei Faktoren haben dabei hohe Relevanz:

Zeit

Irgendwo muss es sie geben — die Menschen, die aufgrund der Pandemie mehr Zeit hatten und sie unbeschwert nutzen konnten.

Damit blieb auch weniger Zeit, Freundschaften zu pflegen. Die Zeit wird zeigen, welche Freundschaften überlebt haben.

Distanz

Die zwangsläufige räumliche Distanz hat vielen Freundschaften dank elektronischer Medien und des guten alten Telefons nicht geschadet.

Bilanz

Der Härtetest für viele Bekanntschaften und so manche Freundschaft: COVID-19 hat vielen von uns eine Erkrankung oder sogar den Tod sehr nahe gebracht.

Das hat bei vielen zu einer Bilanz geführt und zur Frage, was will ich nach der Pandemie noch müssen? 

Um es mit der italienischen Filmdiva Sophia Loren zu sagen:

„Im Leben muss man dauernd zwischen Aufrichtigkeit und Höflichkeit wählen“

 

Fotografien © GloriousMe

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