Die 7 Phasen im Corona-Shutdown
„Upside down, COVID you turn me, inside out, and round and round“
Corona-Shutdown
BY THE EDITOR // KARIN M. KLOSSEK
Glorious Me
Angelehnt an den Song, den wohl jeder mit Diana Ross verbindet, ein Logbuch über die ersten zwei Monate des Corona-Shutdown. Persönlich. Ohne Anspruch auf Political Correctness und exakte Chronologie.
Fiebrige Aktivität
Die erste Woche
Termine, die seit vielen Monaten feststanden, habe ich aus dem Kalender gestrichen. Wie lange im Voraus streichen? Lieber Woche für Woche, obwohl schon klar ist …
Das Beste daraus machen. Die Zeit möglichst produktiv nutzen. Vorbereiten. Ausbauen. Dazulernen – alles Themen, die zu oft auf der To do Liste unten stehen. Neue Skills aneignen und davon so viele als möglich.
Aber, erst mal die Vorratskammer ausräumen. Überblick gewinnen. Sind genug Sardellen, Pasta, Kapern und Parmesan da? Was macht der Thunfischbestand und wäre Apfelmus in Krisenzeiten gut? War es eine Vorahnung im Januar weit mehr Weinflaschen als sonst zu bestellen?
Kann der Tag nicht 36 Stunden haben? Ein gefüllter Weinkeller beruhigt.
Kulturschock
Die zweite Woche
Ausgerechnet eine Woche mit zwei Opernaufführungen und einem Friseurtermin. Monatelange Vorfreude. Nun sind davon nur noch drei weitere Striche im Kalender übrig. War es wirklich notwendig gewesen, den ursprünglichen Premierentermin zu verschieben?
Besser darüber schweigen. Klingt eitel und elitär, Oper im eigenen Universum als systemrelevant zu betrachten.
Die restliche Welt kämpft mit dem Kulturschock des Homeoffice.
Backtherapie
Die dritte Woche
Die Seele braucht Streicheleinheiten in Form von Vanille und Zimt. Der örtliche Bäcker ist flexibel und verkauft Hefe in Mega-Einheiten.
• Marmorkuchen mit Schokoladen-Overload, according to the „Financial Times“.
• Marmorkuchen, wie Johann Lafer ihn vorschreibt. Österreich muss es doch wissen.
• Rhabarberkuchen mit Konditorcremé. Lecker, aber schnell verschimmelt.
• Apfelkuchen, denn das Rezept sieht Mandeln und Apfelmus vor. Siehe Vorratskammer.
• Amerikaner. Ein voller Erfolg. Vermutlich mittlerweile politisch korrekt anders benannt.
Kann der Tag nicht 48 Stunden haben? Bloss nicht die „geschenkte“ Zeit vergeuden.
Mein Dress im Homeoffice und bei Einkäufen wird bewusst noch formeller.
Vom Saulus zum Paulus
Die vierte Woche
Nun profiliert sich jeder damit, die Kassierer im Supermarkt, die Pfleger und die Ärzte zu Helden zu erklären. Allein, mir fehlt der Glaube, dass die Begeisterung nach der Corona-Krise anhält. Selbst COVID-19 schafft das nicht. Die Schauspielerei und vorgebliche Betroffenheit sind unerträglich. Behalte mein Urteil für mich. Pfleger habe ich schon immer für Helden gehalten und würde im Supermarkt nie den Kassenbereich verlassen, ohne Danke zu sagen.
Die Engländer fühlen sich wieder europäischer an, und Boris Johnson wird dank des NHS gerettet.
Peter Schröder und Dios von Mondstein, Schauspiel Frankfurt, sind mit ihrer intelligenten Auswahl an Texten und ihrem Humor im Theater aus der Quarantäne plötzlich zu engen Freunden geworden, die ich nicht mehr missen möchte.
Ertappe mich dabei, dass ich manche Bekannte noch gar nicht vermisst habe. Einige Bekannte wurden in diesen Wochen zu Freunden.
Schiere Verzweiflung
Die fünfte Woche
Tage mit Podcasts von Virologen, Epidemiologen und anderen Experten bedeuten immer eine schlaflose Nacht. Abwägen. Vertrauen. Mistrauen. Logikbrüche. Erwäge erstmals seit Beginn der Krise „Tagesschau“-Abstinenz. Talkshows sind schon lange gestrichen. Selbst die Zusammenfassung am nächsten Tag scheint vergeudete Zeit. Lieber der mediale Blick ins Ausland. Wenn schon schwarze Schwäne, dann mit journalistischem Anspruch und Realismus, historischem Kontext and „a bit of stiff upper lip“.
Tage mit Statements des Finanzministers, der Glaube an den Staat und den Impfstoff bedeuten mindestens zwei schlaflose Nächte. Erwäge ernsthaft eine Mitgliedschaft in der Ludwig Erhardt Gesellschaft, bevor die Soziale Marktwirtschaft nur noch aus zwei Silben besteht.
Rationale Überlegungen wie lange die Corona-Krise noch andauert und welche wirtschaftlichen Folgen sie haben wird: Garantiert drei schlaflose Nächte. Schätzt außer mir noch jemand den Begriff Eigentum? Merkt niemand, dass hinter vermeintlicher Fürsorge für ältere Menschen auch eine enorme Diskriminierung steckt?
Der Apéro am Abend wird zur wichtigen Zäsur des Tages. Ein eleganter Dresscode hilft dabei, der Aggressivität mancher Maskenträger, denen man tagsüber begegnet ist, etwas entgegenzusetzen. Stoppe kurz vor dem Abendkleid, das außerhalb von englischen Landgütern möglicherweise nicht goutiert wird.
Skype, Microsoft Teams, Webex und Zoom
Die sechste Woche
Zur Frage, was ziehe ich morgen an, ist der Blick auf die Wettervorhersage nicht mehr relevant, dafür die Frage, welcher Hintergrund für welche Videokonferenz und passt das Outfit farblich dazu?
In der Nachbesprechung einer Videokonferenz die Bemerkung des moderierenden Vorstands: „Wir beginnen nach vielen Jahren, ehrlich miteinander zu reden.“
Eine gute Woche.
Wanderlust
Die siebte Woche
Dios von Mondstein, Schauspiel Frankfurt, war wieder auf Sendung. Sein verzweifelt-schräger Song aus der Quarantäne über die weiter andauernde Schließung der Theater war herzergreifend, aber so humorvoll, dass mir plötzlich bewusst wird, wie lange ich schon nicht mehr lauthals gelacht hatte. Freie Künstler im freien Fall — das nächste Telefonat lässt selbst das Lächeln wieder gefrieren.
Zu jedem Meeting flog mein englischer Chef mit British Airways und ich mit der Lufthansa. Kein Problem, die Flugpläne waren nahezu identisch. Für jeden von uns war die Airline weit mehr als ein Carrier, sie war immer ein Stück Heimat.
Ich bereue nur die Reisen, die ich in die Zukunft verschoben habe. Beginne, einen Teil des Gartens in ein kleines japanisches Refugium umzuwandeln, anstatt die Reise nach Japan auszuarbeiten. Meditation mit dem Rechen. Nutze die frühen Morgenstunden, um die Nachbarn nicht allzusehr auf das Klischee aufmerksam zu machen. Sollte dennoch endlich anfangen, Japanisch zu lernen. Warum kann der Tag nicht 48 Stunden haben?
Lokal(e)
Die achte Woche
Lokal produzierte Lebensmittel, mit Ausnahme von schottischem Lachs und Gin, französischem Champagner, englischem Käse und italienischer Pasta, haben schon immer den meisten Raum in meinem Kühlschrank und der Vorratskammer eingenommen.Nun geht es darum, zusätzlich die örtlichen Lokale zu unterstützen.
Im Ergebnis habe ich, dank Take-Aways auf völlig neuem Niveau und der Unterstützung des familiengeführten Delikatessenladens, nie täglich besser gegessen.
Einige Unternehmen hingegen, für die ich in der letzten Dekade als Kunde beachtliche Umsätze generiert habe, halten selbst die kleinste Geste für scheinbar überflüssig. Die Verkäufer in der lokalen Bäckerei freuen sich wie die Schneekönige über meine kleine Geste, auf das Rückgeld zugunsten der „Kaffeekasse“ zu verzichten.
Das Fazit der achten Woche: Optimismus ist, den Möglichkeiten mehr Glauben zu schenken, als dem Erlebten. Also zurück auf Los.
Was ich in den letzten Wochen des Corona-Shutdowns gelernt habe
Die Ungewissheit über die Welt nach Corona kostet enorm viel Energie, insbesondere, wenn man es liebt, strategisch zu planen. Wenn man gleichzeitig die Zeit im Shutdown möglichst produktiv für die Entwicklung neuer Projekte nutzen möchte, ist die Analyse, welche Energiereserven gerade leerlaufen und wie sie wieder aufgefüllt werden können, noch wichtiger als sonst.
NIcht alle bewährten Aktivitäten, um Energie aufzuladen funktionieren in dieser Ausnahmesituation weiterhin gut. Kein zusätzlicher Stress, loslassen, was plötzlich keine Freude mehr schafft (Klavier), dafür bewusst Zeit einräumen für Energiekraftwerke: Laufen bei Sonnenschein, bei Regen und so oft es geht, im Wald, Yoga, Gärtnern und bewusstes Atmen. Neue Dinge addieren, die man zuvor nicht gemacht hat: Backen, Latin-Dance-Training und die Aufführungen der Oper Zürich online statt live zu genießen.
An Haut und Haaren sichtbar
Radikales Aufräumen, Loslassen von Projekten, um nicht nur psychisch, sondern auch physisch Raum für Neues zu schaffen. Ehrlicher und offener kommunizieren — damit reduziert und erweitert sich gleichzeitig der Freundeskreis. Einen strikteren Umgang mit den gewohnten Nachrichtenkanälen. Weniger Zeit für inländische Medien, mehr Zeit für ausländische Medien.
Andauernde Stresssituationen werden schnell an Haut und Haaren sichtbar. Wunderwaffen der Kosmetikindustrie halfen nicht. Als beste Gegenstrategie hat sich erwiesen, die Menge an dunkelgrünem Salat und Gemüse stark zu erhöhen und noch stärker auf Lebensmittel mit hohen Anteilen an Omega3Fettsäuren zu achten.
Bei akuten Anfällen von Wanderlust hilft es, sich in die Fotos bisheriger Reisen zu vertiefen und die Sehnsucht nach Italien oder anderen Ländern kulinarisch zu vertrösten.
Farbe hilft
Die Energie eines farbigen Hintergrunds bei einer Videokonferenz ist für alle restlichen Teilnehmer ein Gewinn. Den Aperitif daheim kann, muss man aber nicht im uninspiriertem Outfit trinken.
Natürlich ist diese Liste ganz individuell. Aber genau das ist der Punkt: Nichts ist in dieser Zeit so wichtig, wie Achtsamkeit und Resilienz, um möglichst viel Kraft aufzubauen, für die Zeit danach. In sich zu gehen und genau zu beobachten, was Energie aufbaut und was Energie reduziert. In dieser Ausnahmesituation sind manche Erfolgsstrategien früherer Krisen obsolet, andere hingegen nach wie vor konstruktiv. Der Unbekannten mit Namen „Neue Normalität“ gilt es, nicht auch noch den Raum zu überlassen, den man selbst bestimmmen kann.
Lassen Sie uns wissen, was Ihnen in dieser Zeit hilft.