Die scheinbar fürsorgliche Frage
Auf den ersten Blick klingt die Frage emphatisch. Warum bei dieser Frage jedoch alle Warnsignale angehen sollten.
Achtung
Eine Bekannte schrieb in der vergangenen Woche anläßlich des letzten Arbeitstages des CEO der Messe München auf LinkedIn:
„Als Unternehmerin und Tochter eines Anwaltes, der 60 Jahre bis zu seinem 91. Geburtstag gearbeitet hat, mutet es mir immer wieder merkwürdig an, wenn Menschen in meinem Umfeld gefühlt mitten im Leben in den Ruhestand gehen (müssen).“
Die erste Kommentatorin stellte die Frage: „Wie lange planst Du denn noch?“ Sie machte damit deutlich, dass sie die Aussage des von ihr kommentierten Beitrages offensichtlich nicht verstanden hat.
Mit 89 Jahren fängt der Kunstmarkt an
Der kubanisch-amerikanischen Künstlerin Carmen Herrera widmete das Whitney Museum of American Art 2016 eine Sonderausstellung und ihre spannenden abstrakten Werke, die unglaublich frisch wirken, werden mittlerweile auch von Museen wie der Tate Modern in London erworben.
Carmen Herrera wurde 1915 in Havanna, Cuba geboren, studierte Kunst und Architektur in Havanna und Paris, verkaufte ihr erstes Bild jedoch erst mit 89 Jahren. Auch mit 107 Jahren arbeitete sie jeden Tag in ihrem Studio und meinte: „I believe that I will always be in awe of the straight line, its beauty is what keeps me painting“.
Es gibt eine Reihe Künstlerinnen und Künstler, die erst in sehr hohem Alter Anerkennung gefunden haben. Wie oft haben sie den Satz „Wie lange willst Du das denn noch machen?“ wohl gehört, als sich Keller und Dachböden mit scheinbar unverkäuflichen Werken füllten, die heute ein Vermögen wert sind.
No Man’s Land
heisst der politische Blog von Vivienne Westwood, deren Modeshops für Damen und Herren in London bei jedem Besuch eine Fundgrube für ausgefallene Schnitte, qualitativ hochwertige Stoffe und kreative Details darstellen. Und das seit Jahrzehnten.
Die Ampel schaltet auf Rot
Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Ihr Chef Ihnen diese Frage stellt und es damit begründet, dass Ihre Arbeit so wichtig für das Unternehmen sei, dass man sich frühzeitig mit der Nachfolgeplanung beschäftigen müsse.
Falls auf Ihrer Visitenkarte CEO eines börsennotierten Unternehmens steht, stimmt die Aussage und ist in der Tat im Sinne der Risikovorsorge für das Unternehmen und seine Aktienkursentwicklung wichtig.
Bei allen anderen steckt hinter der fürsorglich klingenden Frage der Hinweis: Es wird Zeit, dass Sie gehen. Dabei wird jedes Unternehmen täglich unvorbereitet konfrontiert mit Kündigungen, Krankheit oder Schlimmerem.
Giuseppe Crippa erging es so. Er sollte mit 60 Jahren nach 35 Arbeitsjahren beim Halbleiterhersteller STMicroelectronis in den Ruhestand gehen. Er nahm die Abfindung, arbeitete daheim am Küchentisch an einer Prüfkarte für die Chipherstellung, gründete sein eigenes Unternehmen, belieferte von da ab seinen ehemaligen Arbeitgeber und baute so ein Vermögen für sich und seine Familie auf.
Einen Eindruck vom Künstler Larry Bell und seinen Arbeiten, die aktuell bei Hauser & Wirth in London zu sehen sind, können Sie in diesem Video erhalten.
Seine Arbeiten sind ebenfalls bis März 2022 in Dia Beacon, 3 Beeckman Street Beacon, New York zu sehen. Für GloriousMe ist das Dia Beacon eine der großartigsten Plätze, um großformatige Kunst zu sehen. Schon die Fahrt mit der Metro-North Railroad vom Grand Central Terminal ist ein schönes Erlebnis.
Larry Bell (Jahrgang 1939) meint „I like to do, what I do, and I try and get it better than the way I did it before. Each piece leads to a new life and a new way of thinking“.
Warum sollte das nicht für nahezu jede Tätigkeit gelten?
„Je freier man atmet, desto mehr lebt man“
(Theodor Fontane)
Freiheit ist ein hohes Gut. Jeder sollte so lange oder so kurz arbeiten, wie er oder sie möchte oder kann. Die Lektüre von Hanna Arendt „Vita activa“ ist in diesen Zusammenhang durchaus empfehlenswert.
Es gibt viele Menschen, die sehr gerne arbeiten und daraus Anerkennung, Freude und Anreiz ziehen. Genau darum werden sie oft von denen beneidet, die meinen ihnen die Frage stellen zu müssen, wie lange sie das denn noch machen möchten.
So wie die Frage nach der Familienplanung seit langem nicht mehr gestellt werden darf, sollte auch die Frage nach dem Ende der Arbeitszeit tabu sein.
Jeder, der gut in seinem Job ist, merkt es von selbst, wenn es Zeit ist, zu gehen. Und auch das kann man genießen.
Serena Williams hatte sich für ihr 21. Turnier in Wimbledon sicherlich viel vorgenommen. Sie verlor nach dem ersten Match gegen die französische Wimbledon-Debütantin und Nummer 115 der Weltrangliste Harmony Tan und schied aus dem Turnier aus.
Serena Williams verkündete nach der Niederlage auf @serenawilliams: “That was insane and intense. Not the result I came for, but my goodness I enjoyed that. I hope you did as well. Onward and up.“
Die rote Linie überschritten
Anmaßend wird es, wenn Kulturschaffende meinen, die Ukraine auffordern zu müssen, sich nicht weiter gegen den Aggressor Russland zu verteidigen und dem ebenso geschundenen wie tapferen Land raten, Verhandlungen aufzunehmen und sich zu ergeben.
Würden sie nach einer Beendigung der Verteidigung gegen Russland ebenso fragen, wenn nicht Kyviv sondern ihr geliebtes Berlin, Paris oder Rom unter Artilleriebeschuss stünde?
Lasst diese Frage besser ungefragt.
Titelbild © GloriousMe | Carmen Herrera Ausstellung im Whitney Museum New York City © Alamy Stock foto | Larry Bell mit seinem Kunstwerk 6×6 eine Improvisation (1089-2014) in London © Alamy Stock Foto