“More is more and less is a bore”
Die Trauer in der Modebranche war groß, als Iris Apfel im Alter von 102 Jahren kürzlich starb. Worin bestand ihre Faszination?
Erfrischend individuell
Minimalismus, wie sie die Marken von Quiet Luxury zelebrieren, war ihre Sache nicht. Warum eine dezente Brosche tragen, wenn man gefühlt 3 Kilo Schmuck bestehend aus vielen Armreifen und Ketten zu einem bereits spektakulären Outfit addieren kann?
Die Farben, Formen und Stoffe, die Iris Apfel kombinierte, waren immer außergewöhnlich — elegant und spektakulär zugleich. Ihr Erkennungszeichen waren eine riesige Brille und ein tiefroter Lippenstift. Sie folgte keinen Trends, sie zelebrierte ihren individuellen Stil.
Sobald man ein Bild von Iris Apfel sah, wurde klar, wie gleichförmig alle sonstigen Protagonisten der Modebranche, die sich selbst als höchst individuell ansehen, auftreten.
Neugierde als Lebensprinzip
„Wenn du staunen kannst, Humor hast und neugierig bleibst … das hält dich jung, fast wie ein Kind, offen für neue Menschen und Dinge und bereit für das nächste Abenteuer“ schreibt Iris Apfel in ihrer Autobiographie „Iris Apfel. Accidental Icon“, die 2019 auch in einer deutschen Übersetzung erschien.
Diese Lust, offen und neugierig zu bleiben strahlte Iris Apfel aus. Die studierte Kunsthistorikerin begann als Bürobotin bei einem Modejournal zu arbeiten, bevor sie selbst schrieb und mit ihrem späteren Mann ein Interieur Design Geschäft aufbaute.
Die beiden begannen historischer Stoffe neu zu produzieren und arbeiteten dafür mit spezialisierten Webern in ganz Europa zusammen. Das brachte sie bis ins Weiße Haus in Washington, dem sie über viele Jahrzehnte historisch nachgebildete Stoffe lieferte.
Während sich viele andere mit dem Glanz dieses Hauses schmücken würden, erscheint ihr das in ihrer Biographie scheint kaum erwähnenswert. Diese Bescheidenheit fasziniert: Mehr Sein als Schein.
Die Flamboyanz ihrer äußeren Erscheinung war nicht das Werk von Stilisten sondern Ergebnis ihrer eigenen großen Disziplin und der Freude daran, Neues zu entdecken. Sie selbst definiert Stil als Haltung.
Falten sind völlig in Ordnung
Geschickt zitiert sie ihren geliebten Mann Carl Apfel, der ihr bei einem Gala-Dinner das Kompliment machte „Baby, Du bist die einzige hier mit einem eigenen Gesicht“.
Von Schönheitsoperationen hielt sie nichts. Eine der größten internationalen Model-Agenturen engagierte Iris Apfel im Alter von 97 Jahren für den Laufsteg und Fotokampagnen. Die Kosmetikmarke Mac entwickelte mit ihr eine limitierte Auflage an Schönheitsprodukten, die in kürzester Zeit ausverkauft war.
New York Fashion Week Spring 2016 © WENN, Alamy Stock Foto
Sie liebte Mode und sah keinen Anlass, sich wie viele in ihrem Alter unauffällig zu kleiden. So folgten 3.1 Millionen dem Instagram Account, der in ihrem Namen geführt wurde, denn von Social Media hielt sie selbst wenig.
Während sie künstliche Intelligenz in vielen Bereichen, wie beispielsweise der Medizin für einen Segen hielt, schien ihr die Gefahr, sich allzu sehr auf das Smartphone zu verlassen, zu groß. Sie meinte: „Dein Smartphone ist nicht Dein Gehirn.”
Viel zu rar
Wir wünschen uns sehr viel mehr Männer und Frauen, die wie Iris Apfel, die diszipliniert ihren Weg gehen und die Welt mit ihrem Styling gleichzeitig bunter und interessanter machten.
Altersgerechte Kleidung war für Iris Apfel ein Fremdwort. Sie empfand es als höflich, sich interessant zu kleiden, um den Augen der anderen Inspiration zu bieten statt zu wirken „als ob ich gerade aus der Dusche käme“.
Accessoires, die sie oft bei Reisen auf Märkten fand, liebte sie über alles. Als wichtigstes Accessoire benannte sie gute Schuhe: „Wenn Dein Haar in Ordnung ist und Du gute Schuhe trägst, kommst Du mit allem durch“.
Nehmen wir uns ein Beispiel an Iris Apfel und kombinieren wir mutiger Stoffe, Farben und Formen. Was kann schon passieren?
Wer Lust bekommen hat, Iris Apfel und ihren trockenen New Yorker Humor in Aktion zu sehen, empfehlen wir die Dokumentation IRIS von Albert Maysles, die 2014 entstanden ist und bei Apple TV im Download verfügbar ist.
Dokumentarfilm IRIS 2015 by Albert Maysles
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Titelbild: Iris Apfel 100th Birthday Celebration NYC © Alamy Stock Foto