Und selbst Bitterkeit muss man sich leisten können
Aktuell wünschten wir uns, Bitterkeit gäbe es nur noch im Wermut
Bitter ist …
… dass profane Meldungen über provinzielle Themen beginnen, die Nachrichten über den Krieg in der Ukraine vom ersten und damit wichtigsten Platz verdrängen.
… dass nach der Rede des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky im Bundestag sowohl von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt als auch von Bundeskanzler Olaf Scholz keine würdige Antwort kam sondern zur Tagesordnung übergegangen wurde. Respekt, Empathie und Führungsverantwortung sehen anders aus.
…. die Zerstörung der Städte in der Ukraine und die Flüchtenden zu sehen. Sie und alle Menschen, die noch in der Ukraine leben und einige, die aus dem Ausland in die Ukraine zurückkehren, um für die Freiheit ihres Landes zu kämpfen, können sich aktuell keine Bitterkeit leisten sondern leiden und kämpfen jeden Tag weiter und versuchen, ihren Optimismus aufrecht zu erhalten.
Die Chefredakteurin des The Economist, Zanny Minton Beddoes und der Redakteur für Osteuropa Arkady Ostrovsky sind am Freitag vergangener Woche nach Kiew gereist, um den ukrainischen Präsidenten zu einem Interview zu treffen. Das Video des zu Recht vielbeachteten Interviews können Sie hier sehen.
Hilfreich ist …
Es gibt zahlreiche private Initiativen, die Menschen in der Ukraine und Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, zu unterstützen.
Da uns das Thema Gastronomie und Gastfreundschaft am Herzen liegt, stellen wir einige Aktionen vor, die uns beeindruckt haben und die sich sicherlich auch anderenorts realisieren lassen:
Chefs for Ukraine
Die ukrainische Köchin Nova Tasha hat auf der Instagram Plattform Chefs for Ukraine eine Bewerbungsmöglichkeit für ukrainische Köchinnen ins Leben gerufen.
Dort kann ein Formular aufgerufen werden, mit dem schnell und unkompliziert ukrainische Frauen, die in der Gastronomie tätig waren, europaweit mit Arbeitgebern in der Gastronomie vernetzt werden.
Vielleicht kennen Sie ein Restaurant, dass an dieser Aktion #usuperwomen interessiert ist? Vielen Dank an das Team von Nobelhart & Schmutzig, Berlin, das uns auf diese Aktion aufmerksam gemacht hat.
Kalyna, demnächst von ukrainischen Großmütter und Großväter gebacken
Das Café Vollpension in Wien beschäftigt Senioren, die mit ihren Backkünsten die Gäste im Kaffeehaus und an einigen Kiosken in Wien verwöhnen und auf diese Weise ihre Alterspension aufbessern.
Aktuell möchte man drei Großmütter und/oder Großväter aus der Ukraine einstellen, die ukrainische Spezialitäten wie beispielsweise Kalyna backen und gleichzeitig in das soziale Gefüge der Café Vollpension integriert werden, inklusive zwei Paten, die Sprachunterstützung auf Ukrainisch und Russisch bieten.
Restaurant Mirali aus Kiew auf Charity Tour in Köln, München, Hamburg, Frankfurt ….
Küchenchef Mira Dilbazi aus dem Restaurant Mirali in Kiew ist vom 17.04.2022 bis 15.05.2022 in einigen Städten in Deutschland unterwegs. Alle Termine und Restaurants der von Nobelhart & Schmutzig organisierten Charity Tour finden Sie hier.
Charity Dinner
Viele Restaurants, so auch das Essener Restaurant Chefs & Butchers haben, vereint mit lokalen Lebensmittelhändlern und Weingütern ein Benefiz-Menü kreiert und auf diese Weise EUR 30.000 für die Ukraine gespendet. Ein phantastisches Essen für einen guten Zweck, das sich an vielen Orten wiederholen lässt.
Cents addieren sich
Unser lokaler Bäcker spendet das Rückgeld, falls von den Kunden so gewünscht, an die UNICEF Hilfe für Kinder in der Ukraine. Cents addieren sich.
Kiew Mule statt Moscow Mule
Einige Bars haben den Cocktail Moskau Mule in Kiew Mule umbenannt und spenden die Einnahmen daraus an ukrainische Hilfsorganisationen.
Wermut gegen Schwermut
Daran glauben wir nicht, haben aber festgestellt, dass wir im Moment bei einem Apero instinktiv nach einem Getränk mit Bitterstoffen und möglichst wenig Alkohol greifen. Gefühle und Geschmackssinn sind eng miteinander verbunden.
Was ist Wermut
Auch als Vermouth oder Wermutwein bezeichnet, ist Wein, der mit Kräutern und Gewürzen aromatisiert wurde. Da die Bitterstoffes des Wermutkrauts (Artemisia absinthium) den Wermut prägen, hat sich der Namen Wermut etabliert.
Wermut ist Teil von vielen Cocktails wie beispielsweise des klassischen Negronis.
In den vergangenen Jahren findet man den Wermut verstärkt auch als Aperitif auf Restaurantkarten. Eine puristische Alternative zum allgegenwärtigen Aperol Spritz und in der Regel mit einem geringeren Alkoholgehalt im Vergleich zu einem Gin & Tonic.
Apero
Ein Apero mit Wermut ist denkbar einfach zu mixen: Wermut mit etwas Soda aufspritzen, eine kleine Scheibe Naturzitrone und Eiswürfel dazu, fertig. Das Verhältnis: 2/3 Soda, 1/3 Wermut.
Um den Kräuterursprung des Wermuts zu betonen und dem Auge noch mehr zu bieten, kommt bisweilen ein kleiner Rosmarinzweig mit ins Glas.
Das Wermutkraut ist die prägende Komponente des Wermuts, je nach Rezeptur sind ebenso Kräuter wie Engelwurz, Enzian, Gewürznelken, Kardamom oder Sternanis mit dabei.
Wermut Geschichte
Die Methode Wein mit Kräutern zu aromatisieren kannte man bereits im antiken Ägypten, Rom und Griechenland. Auch Hildegard von Bingen soll im 11. Jahrhundert ein Rezept für Kräuterwein geschätzt haben.
Der Italiener Antonio Benedetto Carpano gilt jedoch als Schöpfer des Wermuts im Jahr 1786.
Antonio Benedetto Carpano
Carpano beschäftigte sich mit den Aromen von Kräutern und experimentierte auf der Grundlage alter Klosterrezepte damit, wie diese destilliert werden könnten. Er ging eine Partnerschaft mit einem Spirituosenladen in Turin ein, denn Kräuter und Wein gehen beim Wermut Hand in Hand.
Das Geschäft lag idealerweise gegenüber des Königspalastes in Turin. Der damalige König von Sardinien-Piemont, Vittoria Amedeo III fand Gefallen an dem bitteren und in diesem Fall leicht süßlichen Getränk und ließ Wermut auch am Königshof kredenzen.
Vermouth di Torino konnte als Herkunftsbezeichnung geschützt werden, ebenso wie der französische Vermouth de Chambery. Aus Chambery stammt beispielsweise der traditionelle Vermouth aus dem Haus Dolin.
Turin und Chambery gehörten beide zum Königreich von Savoyen. Das alpine italienisch-französische Grenzgebiet blickt auf eine lange Vermouth Geschichte zurück.
La hora del vermut
Auch in Spanien gibt es eine Wermut Tradition. La hora del vermut, die Stunde des Wermuts, war in früheren Jahrhunderten die Zeit zwischen dem Kirchgang und dem Mittagessen.
Heute versteht man damit generell die Zeit des Aperitifs. In manchen Bars in Madrid gibt es nicht nur eisgekühltes Bier sondern auch Wermut aus dem Zapfhahn für die Einstimmung auf ein darauffolgenden Mittag- oder Abendessen oder als Begleitung zu Tapas.
Öffnet man zuhause eine Flasche Vermouth sollte man sie danach kühl und nicht allzu lange lagern, ansonsten fallen die Aromen darin der Oxidation anheim.
Wie es Euch gefällt
Wermut gibt es in trockenen Varianten (extra dry, weniger als 30 Gramm Zucker je Liter), dry und semidry sowie in süßen Varianten (semi sweet und sweet mit 130 oder 150 g Zucker je Liter), rot, rosé oder weiß. Auch Traubensaft und Mostkonzentrat darf als Süßmittel verwendet werden. Die Farbgebung kann von Karamell oder Zuckercolour stammen.
Martini oder Cinzano Bianco liegen eher auf der süßeren Seite.
Eine der bekanntesten Wermut-Marken, Noilly Prat, essentieller Bestandteil der klassischen Beurre Blanc Sauce, vertritt eher die trockene Richtung. Viele Fischsaucen und Gerichte mit Krustentieren profitieren von Noilly Prat und in der Bouillabaise ist Nouilly Prat natürlich mit von der Partie.
Ein altes Getränk neu entdeckt
Nach der Vielzahl von Botanicals, die in so manchem Gin zu finden sind und der eher aggressiven Farbe des Aperol, passt der meist zurückhaltender auftretende Wermut in die heutige Zeit.
So wie Gin mittlerweile an allen Orten der Welt produziert wird, gibt es auch außerhalb des Mittelmeerraums Wermutproduzenten. Auch in Österreich finden Kräuter und Wein harmonisch zusammen dachte sich der aus Bayern stammende Rudolf Burschick, der 1819 in Wien mit einer Vermouth Produktion begann.
Seine Rezeptur verkaufte er an die Familie Specht, die im Nachbarhaus ein Gasthaus betrieb. Bis heute wird der Vermouth von einem Nachkommen der Familie Specht produziert, mittlerweile mit leicht veränderter Rezeptur.
Der klassisch-dezent komponierte Vermouth Burschik’s ist ein Lieblingswermut von uns.
Ein Wermutstropfen, zugegebenermaßen.
Illustration und Food Photography © GloriousMe | Plakat Carpano © The Print Collector, Alamy Stock Foto | Blätter der Pflanze Artemisia Absinthium © Eric Anthony Johnson, Alamy Stock Foto