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HALTUNG

HALTUNG

Davon können wir in jedem Fall mehr brauchen

Wir sehen sie und spüren sie sofort: Haltung oder das Gegenteil davon

BY THE EDITOR // KARIN M. KLOSSEK

Beim Blick vom Homeoffice auf die Straße sind im Laufe eines Bürotages zu bestimmten Zeiten immer wieder die gleichen Personen zu sehen, die vorübergehen, vorüberhasten oder entlang schlendern.

Bevor man die jeweilige Person im Detail sieht, hat man sie schon von weitem an ihrer Haltung und am Gang erkannt.

Bei Personen, die uns vertraut sind, lassen uns Nuancen in deren Körperhaltung schnell erkennen, wie es ihm oder ihr im Moment geht. Auch wenn wir uns um äußere Haltung bemühen, erkennen wir im Spiegel oder auf Bildern, dass sich die Gemütsverfassung nicht immer überspielen lässt.

Die deutsche Sprache macht keinen Unterschied beim Wort Haltung: Die Haltung des Körpers und die Haltung, die eine Überzeugung ausdrückt, werden mit dem gleichen Wort benannt.

Führung ohne Haltung ist unmöglich

Bei einer Führungskraft merken wir schnell, ob hinter der Fassade eine innere Überzeugung und Werte stehen. Wir spüren, ob wir uns mit einem Chef oder Chefin im Privatleben auf eine anspruchsvolle Wanderung begeben würden, bei der sich jeder auf den anderen verlassen müsste, um bei einer kritischen Situation am Berg zu überleben.

Vertrauen wir dieser Person, müssen wir nicht unbedingt im Detail mit dem eingeschlagenen Weg des Unternehmens einverstanden sein, wir geben dennoch unser Bestes.

Wenn wir jedoch spüren, dass hinter den perfekten Führungstechniken und den politisch korrekten Buzzwords keine Überzeugung zum Wohl des Unternehmens steht, sind wir auf der Hut.

In dem Moment, in dem wir zum nächsten Unternehmen weitergegangen sind, geraten diese Vorgesetzte in Vergessenheit oder begegnen uns maximal in Alpträumen wieder.

Bis heute habe ich die größte Hochachtung vor einem ehemaligen Chef, der Haltung bewies und im Vorstand seine Überzeugung zur zukünftigen Strategie der Bank vertrat. Es kostete ihn nicht nur seinen Job, sondern der Vorstandsvorsitzende meinte, ihn mit Security-Personal zum Ausgang der Großbank begleiten lassen zu müssen, um ein Exempel zu statuieren.

Für den Geschassten hat es sich gelohnt, einen Plan B gehabt zu haben und bis heute ist ihm die Loyalität seiner ehemaligen Mitarbeiter gewiss.

Der autokratische Vorstandsvorsitzende hingegen verlor den Rest des Vertrauens der Mannschaft und niemand weinte ihm eine Träne nach, als er später aus Altersgründen ausschied und nicht in den Aufsichtsrat der Bank berufen wurde.

Tue Gutes und zeige es, statt darüber zu reden

Colin Kaepernick, der begabte Quarterback der San Francisco 49ers entschied sich, mit einem Kniefall während die Nationalhymne im Stadion erklang, auf die aus seiner Sicht unerträgliche Brutalität einiger Polizeibeamter bei der Verfolgung und Verhaftung von Schwarzen zu protestieren.

Sein Teamkollege in der amerikanischen National Football League, Eric Reid, der sich dem Protest von Colin Kaepernick anschloss, schrieb in einem Kommentar in der The New York Times, dass sich Colin Kaepernick zunächst während der Nationalhymne aus Protest auf die Ersatzbank des Teams gesetzt hatte. Niemandem schien das jedoch aufzufallen.

So entschieden sie sich beide nach längerer Diskussion für den Kniefall, den sie einerseits als Zeichen des Protestes, aber auch als ein Zeichen großen Respekts empfunden hatten.

Der damalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, sah es anders. Colin Kaepernick, bis zum Kniefall einer der begabtesten und erfolgreichsten Spieler der N.F.L. verlor 2016 seine Spielerposition und erhielt von keinem anderen Verein der N.F.L. einen neuen Vertrag.

„A time comes when silence is betrayal“

John Reid und Colin Kaepernick verstanden ihren Kniefall im Sinne des Zitats von Dr. Martin Luther King jr. Auf einem Foto, das anlässlich der Bürgerrechtsproteste in Selma, Alabama, 1965 entstand, ist auch Dr. Martin Luther King jr. zusammen mit anderen Demonstranten für die Bürgerrechte der schwarzen Bevölkerung kniend im Gebet zu sehen.

Etwa zwei Jahre nach seinem Kniefall im Stadium und seiner Entlassung wurde Colin Kaepernick zum Testimonial in der Nike Kampagne „Believe in Something. Even if it means sacrificing everything. Just do it“ zu sehen.

Die Kampagne von Nike war im damaligen politischen Klima in Washington ein mutiges, für viele wichtiges Statement und wurde, weil sie eine Haltung vertrat, auch heftig kritisiert.

Als Unternehmen Haltung zu zeigen, wird immer stärker eingefordert. Auch hier hat die COVID-19 Pandemie als eine Art Katalysator gewirkt. Die unterschiedlichen Interessengruppen wie Mitarbeiter, Aktionäre und Öffentlichkeit erwarten in immer stärkeren Umfang, dass Unternehmen im Hinblick auf wichtige soziale und gesellschaftliche Themen eine Haltung vertreten.

Ein Statement oder eine werbewirksame Kampagne ist hier allerdings der letzte Schritt. Wichtig ist die Verankerung der Werte eines Unternehmens in der Unternehmens- und Markenstrategie und in den Prozessen, die den Unternehmensalltag bestimmen und bei Personaleinstellung und Personalentwicklung maßgeblich sind, also in der Folge über Karriere und Gehalt entscheiden.

Alles andere ist leicht zu durchschauen

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Und wirkt wie in vielen aktuellen Weihnachts-Werbespots, die bemüht politisch korrekt daherkommen, aufgesetzt und ohne wirkliche Substanz.

Haltung hat etwas mit Ernsthaftigkeit zu tun. Mit dem Wunsch, das Richtige zu tun, aber auch mit Leidenschaft und Sensibilität. Die berühmte Teflon-Haltung, an der alles abzuprallen scheint, bedeutet Haltlosigkeit und überlässt damit anderen den Raum, die schlicht lauter sind. Die Geschichte zeigt, wie schrecklich das ausgehen kann.

Psychologen gehen davon aus, dass sich Haltung zum einen aus der persönlichen Beziehungserfahrung entwickelt, bei der persönliche Vorbilder wichtig sind.

Zum anderen gibt es nach Meinung dieser Experten auch einen gewissen Gewöhnungseffekt. Je länger und intensiver Menschen mit einer gewissen Haltung konfrontiert werden, desto wahrscheinlich wird es, dass sie diese Haltung annehmen.

Rückgrat zeigen im doppelten Sinn

Halt ist ein wichtiger Bestandteil des Wortes Haltung. Haltung ist immer im Bezug auf andere zu sehen und hat eine wichtige Wechselwirkung. Die Haltung eines Menschen kann anderen Menschen Halt verschaffen und wirkt anziehend.

Haltung ist gleichermaßen eng mit der eigenen Wertschätzung verbunden. Wer die eigenen Gefühle für wichtig hält, wird sich nicht für lange Zeit Dingen oder Personen unterordnen, die ihn selbst als Person nicht wertschätzen.

Das Rückgrat hat, wie das Wort Haltung, eine doppelte Bedeutung. Es bezeichnet gleichermaßen das gesellschaftliche Rückgrat und das Rückgrat des Körpers, der von der Wirbelsäule aufrecht gehalten wird.

Ausstrecken hilft sofort

Der berühmte „Handynacken“ über den so viel zu lesen ist, ist die Kombination eines runden Rückens mit nach unten gesenktem Kinn über dem Mobiltelefon. Der gebeugte Rücken in Kombination mit einer starren Nackenhaltung ist das Problem. Oft hilft es schon, darauf zu achten, beim Blick auf das Mobiltelefon den Rücken gerade zu halten, also Haltung einzunehmen und das Mobiltelefon höher zu halten.

Und wenn Sie diesen Artikel am Ende eines langen Tages gelesen haben, legen Sie sich einfach mal mit dem Rücken auf den Boden, auf einen Teppich oder eine Matte. Strecken Sie beide Arme über die Schultern nach hinten und legen Sie ihre Hände auf den Boden ab. Dabei wird die Wirbelsäule wohltuend gestreckt.

Sie spüren sofort, dass Sie vermutlich den ganzen Tag in der gegenteiligen Haltung verbracht haben. Eine kleine Übung, die jederzeit umsetzbar ist, mit großer Wirkung.

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