Sie lesen
DER KOFFERINHALT: EINE SACHE DES CHARAKTERS.

DER KOFFERINHALT: EINE SACHE DES CHARAKTERS.

Der Inhalt eines Urlaubskoffers sagt oft mehr als ein Sternzeichen über seinen Besitzer. Die wichtigsten Gepäcktypen.

 

 “Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet. Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang” rät Friedrich von Schiller. Ein Blick in den Koffer gibt Aufschluss.

Zeig mir den Inhalt Deines Koffers

Damit ist nicht die Aufforderung beim Zoll gemeint, die wir uns in diesen reisereduzierten Zeiten wieder zu hören wünschen.

Im folgenden geht es nicht um die Art des Packens. Unsere drei wichtigsten Tipps zum Kofferpacken haben wir ja bereits mit Ihnen geteilt.

Was jemand im Urlaubsgepäck mit sich führt, zeigt viel vom Charakter eines Menschen und bleibt daher oft ein Leben lang gleich, wenn auch die äußere Hülle sich ändert.

 

Erkennen Sie sich in einem der folgenden Gepäcktypen wieder?

Der Flaneur

Sein Urlaub beginnt schon lange vor Beginn der Abreise im Kopf. Er sieht sich in Gedanken auf dem Boulevard entlang spazieren, auf der Terrasse mit Blick auf den See stehen oder den offenen Jeep zur Safari besteigen.

Genau für diese außergewöhnlichen Momente plant er seine Kleidung. Ein besonderes Kleidungsstück macht für ihn den Genuss des Moments erst vollkommen.

Ein glücklicher Reisender, denn das Kleidungsstück wird ihn, wenn er schon lange wieder nach Hause zurückgekehrt ist, immer an diese Reise erinnern und ihn in Gedanken wieder an diesen Ort und in diesen Moment zurückkehren lassen.

Den Rest des Koffers plant er effizient und reduziert die Inhalte mit viel Reiseerfahrung auf das Notwendigste. Er reist gerne, wann immer es möglich ist, nur mit Handgepäck.

Denn der Verlust eines Gepäckstückes in Transit wäre kaum zu verschmerzen: Das sorgfältig gerade für diese Reise ausgewählte Kleidungsstück läge darin.

Der pragmatische Entsorger

Reisen ist hektisch, schmutzig und birgt viele Unvorhersehbarkeiten. Was nützt die eigene Vorsicht mit der Kleidung, wenn der Kaffee des Sitznachbarn bei einer Turbulenz im Flugzeug auf dem eigenen Schoß landet.

Also steht der pragmatische Entsorger vor seinem Kleiderschrank und packt die Kleidungsstücke, die er eigentlich entsorgen will, in seinen Koffer:

Die Hose, deren Löcher nicht die Idee eines Designers sind, sondern lange Jahre des Gebrauchs aufzeigen. Das Hemd, aus dem sich die Flecken des Sonnenöls partout nicht mehr entfernen ließen. Die Schuhe, die er schon fast in die Altkleidertonne geworfen hätte und die T-Shirts die mal Weiß waren.

Ein neues Kleidungsstück extra für eine Reise zu erwerben, würde ihm nie in den Sinn kommen. Ein kleines Ungeschick, etwas tropfende Fischsauce und der Tag wäre verdorben.

Von Ort zu Ort wird das Gepäck immer leichter, denn der praktische Entsorger zieht eine Spur von zurückgelassenen Kleidungsstücken hinter sich.

Überzeugt davon, damit jeweils eine gute Tat getan zu haben, ruht er in sich und ist erleichtert, dass ihm all der Unbill, der beim Einstieg in fremde Taxis, Züge, Ochsenkarren, Tuk-Tuks oder Fährboote passieren kann darin bestärkt „Gut, dass ich nichts Neues mitgenommen habe“.

 

My suitcase is my castle

Er trägt schwer, aber er oder sie kann nicht anders. Der Inhalt des Koffers gleicht einer Miniaturversion des eigenen Hausstandes. Man muss auf alles vorbereitet sein, lautet die Devise.

Von wichtigen Dingen hat er gleich einen zweifachen Vorrat mit dabei. Die Kontaktmittelflüssigkeit könnte verloren gehen, also besser eine zweite Packung davon vorrätig haben, bevor man vor Ort wertvolle Urlaubsstunden auf der Suche nach dem bewährten Produkt verliert und es doch nicht findet.

Dieser Gepäcktyp ist nicht nur für alle Wetterlagen bestens ausgerüstet; er hat neben der leichten Regenjacke auch die wärmere Version im Koffer — man weis ja nie.

Neben Mehrfachsteckern, sämtlichen wichtigen Kabeln in Zweifachausführung, einem kleinen Reisevorrat des Lieblingssalzes, kann man in seinem Koffer auch ein Reisebügeleisen finden. Denn Form und Format vor Ort sind ihm wichtig.

Bei einer Gruppenreise kann sich dieser Gepäcktyp der Sympathien aller sicher sein. Denn gibt es mal ein Malheur, kann man sich auf diesen Gepäcktyp verlassen. Er hat für alle Eventualitäten etwas im Koffer dabei und bietet seine Hilfe großzügig an.

Der Analytiker

Kein Gramm zu viel und alles in bester Ordnung. Der Analytiker hat die Urlaubstage, die Übernachtungen, die Transportmittel und die Hotelwechsel gleich einem Excel-Sheet im Kopf. Und genau so wird gepackt: Geringstmögliche Einsatz für maximalen Effekt.

Alles ist perfekt kombinierbar und wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm.

Nie würde es dem Analytiker einfallen zwei Sonnenbrillen oder fünf Badehosen in den Koffer zu packen. Ein spezielles Outfit für einen geplanten Besuch in einem glamourösen Rooftop-Restaurant zu erwerben, würde dem Analytiker ebenso nie in den Sinn kommen.

Im Gegenteil: Der Analytiker ist am glücklichsten, nach Ende der Reise daheim seinen Koffer wieder zu öffnen und festzustellen, dass er seine eigen Planung unterboten hat und dem Koffer noch mehrere ungetragene Kleidungsstücke entnehmen kann.

Der Bruch mit der Gewohnheit

Die Gepäcktypen bleiben sich ein Leben lang treu, so wie die meisten Menschen ihren Charakter ein Leben lang nicht grundsätzlich ändern. Es sei denn, eine Extremsituation tritt ein:

Die Einladung, mit dem Motorrad zwei Wochen nach und durch Schottland zu reisen. Der gemeinsame Segeltörn mit Freunden vor der Küste Kroatiens. Die Übernachtung im Eishotel auf der Zugspitze.

Hier gibt es kein Entrinnen vor der strikten Gepäckordnung, sich auf das absolute Minimum zu begrenzen. Einen größeren Koffer mitzunehmen oder eine weitere Zusatztasche zu packen, ist ein No-Go.

Hat man diese, für manche Gepäcktypen extreme Situation einmal überstanden, kann sich, wie im richtigen Leben, etwas an der bisherigen Einstellung ändern.

Siehe auch
1562668225428

Extremsituation

Meine ganze Bewunderung gehört den Reisenden, die mit einer Box auf dem Motorrad oder den Packtaschen eines Fahrrades für mehre Tage oder gar Wochen auskommen.

Derweil betrachte ich das komplett überdimensionierte Gepäck, mit dem ich für eine Woche Urlaub an die Ostsee gereist bin.

 

Die Sommerkleider und Sonnenbrillen allein hätten mich ohne allzu viel Wiederholungen durch einen langen Urlaub an der Cote d’Azur gebracht. Schuhmäßig bin ich nicht nur für Strand, Wald, Schiff und Wanderungen im Naturschutzgebiet ausgestattet, sondern kann in jedem Michelin-Restaurant die perfekte Absatzhöhe mit dem jeweiligen Outfit kombinieren.

Und natürlich ist, passend zur Lokation, einem kleinen Gutshof auf dem Lande, ein neues Kleidungsstück mit dabei, dass mich an schöne Sommerabende mit einem mineralischen Riesling im Glas unter einem lyrischen Walnussbaum sitzend erinnern soll.

Eine hoffnungslose Kreuzkombination?

Sie tippen auf Dominanter Suitcase is my Castle Typ mit hohem Einschlag von Flaneur?

Nein, eine Extremsituation.

Ich realisiere, dass ich alle Sehnsucht nach Reisen in ferne Länder, nach Zollschranken und unbeschwerten Sommern in mediterranen Gebieten, Australien oder Asien in diesen einen Koffer gepackt habe.

 

Als wäre es möglich, all diese Dinge in einer Woche nachzuholen. NIcht dass ich all diese Dinge in einem einzigen Sommer unternommen hätte, aber allein die Freiheit, es tun zu können, ist wichtig.

Was weitaus schwerer wiegt

Neben der Sehnsucht liegt auch die Sorge um viele Freunde und Bekannte in der Gastronomie und Reisebranche im Gepäck und wiegt schwer.

Ich hoffe für alle, dass wir bald das Ende am Horizont sehen können: Eine hohe Impfquote weltweit, der Abschied vom kontinuierlichen Checken der grünen, orangen und roten Zonen, die Rückkehr von Reisen ohne die Befürchtung einer plötzlich verordneten Quarantäne, weil sich während der Reise die Bedingungen geändert haben.

Die Zuversicht begleitet mich auf meiner Reise und ich freue mich schon jetzt auf die größtmögliche Reise mit kleinstmöglichem Koffer, obwohl mir bewusst ist, dass Ankommen wichtiger als Reisen ist. Dazu meint der persische Poet und Sufi-Mystiker Rumi:

„You wander from room to room hunting for the diamond necklace, that is already around your neck“

Bildcollagen © GloriousMe
 
Titelbild Cary Grant und Katherine Hepburn, Holiday, 1938, Columbia Studio © Credit: SNAP, Entertainment Pictures, Alamy Stock Foto
 
 
 

Print Friendly, PDF & Email
Nach oben