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EINE URLAUBSREISE NACH MENORCA IN CORONA ZEITEN

EINE URLAUBSREISE NACH MENORCA IN CORONA ZEITEN

Traum oder Albtraum?

„Upside down, COVID you turn me, inside out, and round and round“

Corona-Shutdown

BY THE EDITOR // KARIN M. KLOSSEK

Glorious Me

Die Nachricht, dass die aus Zürich stammende Galerie Hauser & Wirth plant, das ehemalige Militärlazaratt auf einer Insel im Hafen von Mahón zu einem Kunstort auszubauen, war die Inspiration, eine Reise auf die Baleareninsel Menorca zu planen.

 

Vorfreude sieht anders aus – Pandemieregelung in Spanien statt Sonnenhut

Dann kam Corona und die lang geplante Reise schien unmöglich. Anstelle von ausführlichen Recherchen, welche Orte, Strände und Restaurants auf Menorca besonders interessant erscheinen, stand nun das Abwarten, wann die Fluggesellschaft und die Hotels die Buchungen stornieren würden.

Doch plötzlich ändert sich die Situation. Für einige wenige „Projekt-Touristen“ werden die Baleareninseln vor dem Rest von Spanien geöffnet, unter der Voraussetzung, dass die Buchung bereits vor der Corona-Krise getätigt war. Die Überlegung, das wahrzunehmen, ist mehr von Pflichtgefühl, als von Begeisterung geprägt.

Teil meiner Vorfreude auf Sonne, Strand und Meer sind üblicherweise eine Marktrecherche der aktuellen Modelle an Bademoden, Sonnenbrillen und Sonnenhüten. Nichts dergleichen dieses Mal. Stattdessen aufmerksames Studieren des Regelwerks der spanischen Regierung und der Seiten des Auswärtigen Amtes zum Thema Corona.

Gleichzeitig Verdopplung der Sportaktivitäten und ein noch größerer Konsum an Zitrone, Ingwer und Zink. Das Ziel: Nur ja keine „normale“ Sommergrippe erwischen, um dann möglicherweise bei einer Temperaturmessung am Flughafen in Spanien abgewiesen und stante pede wieder nach Hause expediert zu werden.

Da jeder beteuert, an der Nordsee, im Harz und auf der Schwäbischen Alb sei es doch auch sehr schön, schleiche ich mich still aus dem Haus, um in den Süden zu fliegen.

Mehr Hafen als Flug

Darüber zu lesen oder durch einen nahezu komplett geschlossenen Flughafen zu laufen, sind zwei verschiedene Dinge. Die Anzahl der Sicherheitsleute scheint die Menge der Passagiere zu übersteigen. Sie bringen Leben in die endlos langen, einsamen Gänge. Investiertes Kapital in Millionenhöhe, liegt plötzlich still und blickt einen in Form von Granit, Stahl und geschlossenen Geschäften stumm an.

Auf dem Flugfeld ist der Rest der Fluggeräte geparkt, bei dem die Hoffnung besteht, dass es in den nächsten Wochen wieder eingesetzt werden kann.

Die Ansage des Flugkapitäns „Wir freuen uns, Sie heute nach Menorca fliegen zu können“ tönt nicht mehr nach Standardbegrüßungsformel, sondern klingt, also ob sie von Herzen kommt.

Gespannte Nervosität des gesamten Flughafenpersonals in Spanien, die nichts falsch machen möchten. Nach jeder Passkontrolle desinfizieren die Mitarbeiter ihre Hände. Man kann nur hoffen, ihre Haut besitzt einen guten natürlichen Schutzmantel und kann sich nach der Schicht regenerieren. Der kurze Flug von knapp zwei Stunden ist anstrengend — nicht physisch, aber psychisch.

Aufatmen

Im stilsicheren Agroturismo am Land sind wir wieder Projekt-Touristen. Das Hotel hatte einen Tag vor unserer Ankunft wieder geöffnet und für insgesamt drei Gäste werden die gesamten Prozesse in der Küche, am Pool und an der Bar eingeübt. 

Ein Glück, dass die Personalmannschaft aus etwa 40 Mitarbeitern besteht, so muss nicht befürchtet werden, dass Essen weggeworfen wird. Im Gegenteil: Die Mitarbeiter berichten begeistert von den Geschmacksnuancen der Gerichte, die sie alle ausprobieren durften.

Schnell gewöhnt man sich an den Luxus, den großen Infinity-Pool mit Blick auf die Landschaft ganz für sich alleine genießen zu können und jeden Abend den besten Tisch im Restaurant auswählen zu können. Keine Reservierungsanfragen, keine Buchungslisten, keine Prioritäten. Ultra-Wealth, mit dem richtigen Vermögensberater, der diesen Luxus jeden Tag zuließe, hat zweifellos viele Vorteile.

Das Hotel hat eine DJ-Komponente als Teil der Marken-DNA. Schweigen die Zikaden, begleitet gut kuratierte Musik den Gast durch den gesamten Tag und Abend. Meistens ist beides zu hören und Stille rar. So ist das Gefühl, allein zu sein, nicht zu hören.

Als in der zweiten Woche weitere Gäste aus Paris eintreffen, freut man sich für die hervorragende Hotelmannschaft, dass nun endlich mehr zu tun ist und die Cocktail-Shaker nicht nur kontinuierlich blankpoliert werden, sondern an der Bar auch eingesetzt werden. Aber die Illusion ist vorbei.
 

Reserven

Während das Design-Hotel am Land einer erfolgreichen französischen Investorengruppe gehört und vermutlich über entsprechende Reserven verfügt, sieht die Lage des eleganten Bed&Breakfast in einem Stadthaus in der Altstadt von Mahón wohl anders aus.

Trotz hoher Anzahlung zum Buchungszeitpunkt wird bei der Ankunft die Frage gestellt, ob man den restlichen Betrag für den Hotelaufenthalt gleich beim Einchecken begleichen könnte. Natürlich, ohne Zögern, zücke ich die Kreditkarte, bevor ich auch nur einen Blick in das Zimmer werfen konnte. Seit Monaten durfte kein einziger Gast beherbergt werden und viele Kosten liefen weiter.

Auch hier kommt der Satz „Wir freuen uns wirklich, dass Sie da sind“ aus vollem Herzen.

Glücklicherweise hat sich zur gleichen Zeit eine Großfamilie aus Barcelona zum spontanen Kurzurlaub auf Menorca entschlossen, ansonsten wäre es auch hier sehr ruhig geworden. 

Den traurigen Blick der jungen Dame beim Abschied, ihre Tattoos deuten auf Extremsurferin, die mit ganz eigenem Charme jeden Morgen ein exzellentes Frühstück auf der Dachterrasse serviert hat und gewohnt zu sein scheint, sich durchs Leben zu kämpfen, werde ich nicht vergessen. 

Als die große Holztür des Hauses das letzte Mal hinter uns zuschlägt, ist es in den schönen, alten Mauern dahinter erst einmal wieder sehr ruhig.
 

Die Preußen Südeuropas

So charakterisierte ein früherer Beraterkollege die Spanier und engagierte ausschließlich Kindermädchen aus Spanien. Den Ausdruck hatte ich stets als politisch inkorrekt und degradierend gegenüber dem Rest von Südeuropa empfunden.

Jetzt muss ich bei jedem Gang durch das spanische Hafenstädtchen daran denken. Vorbildliche Disziplin: Ob jung oder alt, fast alle tragen Mundschutz beim Flanieren durch die Stadt, obwohl die vorgeschriebenen 1,5 m Abstand problemlos überall eingehalten werden können und der Mundschutz damit freiwillig ist.

Die Geschwindigkeit der Menschen auf den Straßen scheint nach dem sehr langen und sehr strikten Lockdown in Spanien verlangsamt und die Stimmung ist verständlicherweise sehr verhalten. Spontanes Lachen hört man nur von Kindern.

Unwillkürlich versucht man, in den Augen zu lesen. Wird man selbst als Zeichen der Hoffnung betrachtet, dass der wichtige Wirtschaftszweig Tourismus nun langsam wieder anlaufen kann oder wird man als Risikofaktor eingeschätzt, der den R-Faktor wieder steigen lassen und die Gesundheitskapazitäten der kleinen Insel an ihre Grenzen bringen könnte?

Die Interpretation ist schwer. Die Mundschutzmaske reduziert die Möglichkeiten, in fremden Gesichtern zu lesen zu stark und und im Gespräch ist keinerlei Klage zu hören.

Unwillkürlich kleidet man sich schlichter, reduziert die Anzahl der Gänge durch die Straßen und versucht schon durch die Körperhaltung zu signalisieren, dass man nicht zu der Sorte Tourist gehört, die im gehobenen Alter, mit Mao Tse-tung Sonnenmützen und ohne Mundschutz den Tabak- und Zeitschriftenladen zu zweit betreten, obwohl in diesem kleinen Laden nur ein Kunde erlaubt ist. Ungetrübt und erst erst nach längerer Zeit verlassen sie das Geschäft, mit dem arroganten Bewusstsein, dass der Mann hinter der Ladentheke wohl nicht wagen würde, Einspruch zu erheben. In diesem Moment schämt man sich unendlich für die Respektlosigkeit anderer Touristen.

Als gäbe es kein Morgen

Die Restaurants dürfen erstmals wieder Gäste auch im Innenraum bewirten und desinfizieren meistergültig und ständig. Auch meine Kreditkarte wird gründlich desinfiziert. Das Essen ist ausgezeichnet und mit der Befürchtung weiterer COVID-19 Wellen und der unbestimmten Aussicht, wann daher wieder ein Urlaub am Mittelmeer möglich sein wird, ist die Bestellung konstant viel zu umfangreich.

Als gäbe es kein Morgen. Als wäre es möglich, hervorragende Anchovis, frischen Fisch, sonnenverwöhntes Gemüse und menorquinisches Spanferkel, das auf Niedrigtemperatur 12 Stunden lang geschmort worden war und köstlich schmeckt, auf Vorrat zu essen.

 

Siehe auch

Heimatland-Detox

Die traumhaften Badebuchten und Strände sind relativ leer. Dort trifft man fast nur auf Spanier und einige Gäste aus Frankreich. Der wichtigste Erholungseffekt kann daher ungestört wirken: Das Abschalten der Nachrichten aus dem eigenen Land. 

Die heimatlichen Newsportale werden nicht angeklickt. Keine Tagesthemen und kein Podcast von Professor Dr. Christian Drosten. Kopf und Seele scheinen diese Erholung dringend notwendig gehabt zu haben und atmen langsam auf.

Ich brauche in diesen Zeiten schlichtweg Abstand zu den Medien des eigenen Landes; nur die Financial Times und die NZZ dürfen in den Nachrichtenraum eintreten.
 

Traum oder Albtraum?

Beides. Das hervorragende Klima mit Sonnenschein und gleichzeitig starkem Wind, das klare Meerwasser, die Strände, die Steinbuchten, die Wanderwege entlang der Küste, die Farben der Landschaft sind, auch wenn es klischeehaft klingt, nicht anders als traumhaft zu beschreiben und ich bin sehr dankbar, sie erleben zu können.

Menorca gilt als ruhige Naturschönheit, im Vergleich zu den weitaus bekannteren Baleareninseln Ibiza und Mallorca. Ein sehr restriktives Baurecht hat dazu geführt, dass es nur wenige größere Hotelanlagen gibt. Die Topographie der relativ kleinen Insel mit geringen Süßwasser-Ressourcen hat die langsame und eher kleinteilige Entwicklung des Tourismus prägen können.

Der langgestreckte Naturhafen von Mahón war in früheren Jahrzehnten hart umkämpft, da er große Flotten aufnehmen konnte und so einen strategischen Stützpunkt für den Handel im Mittelmeer darstellte. Riesige Festungen an den Brückenköpfen, die große Gin-Destillerie im Hafen von Mahón und die Vorliebe für Pomada (eine Gin&Tonic Variante) zeugen noch heute davon, dass Menorca über viele Jahre zu Großbritannien gehörte.

Ansonsten gibt es auf der Menorca nur sehr kleine bis winzige Häfen. Mallorca hingegen wurde im Jahr 2019 von 791 Kreuzfahrtschiffe angelaufen und hatte im Jahr 2019 noch 58,28 Millionen Hotelübernachtungen zu verbuchen.
 

Tourismus – ein unlösbarer Widerspruch?

Selbst in diesen extrem ruhigen Tagen sind auf Menorca die kleinen Parkplätze einiger Strände bereits am späten Vormittag gefüllt und müssen gesperrt werden, damit sich kein weiteres Auto vergeblich auf die staubige Steinpisten, die dorthin führen, begibt.

Selbst in diesen fast touristenfreien Tagen gibt es einige, kleinere Plastikfolienteile am Strand aufzuheben. So schaut man zum Himmel und weiß nicht, ob man sich über die Flugzeuge, die nun wieder vermehrt dort zu sehen sind, freuen soll. 

Die Financial Times berichtet unterdessen von völlig vermüllten Stränden in Brighton und Margate, nachdem erstmals nach dem Lockdown ein Strandbesuch wieder erlaubt war. 

Die Disziplin der Menschen auf Menorca ist enorm. In jeder Beziehung. Die tapfer aufrecht erhaltene Fassade bricht nur zusammen, wenn die Emotionen nicht mehr zu bändigen sind. Der Koch, der unendlich glücklich ist, wieder für seine Gäste kochen zu können, bricht beim Abschied in Tränen aus und vergisst, dass ein Handschlag noch verboten ist. Der Kellner, der eine (berechtigte) Reklamation nicht einfach nur abschüttelt, sondern verzweifelt ist, reicht ebenso als Versöhnungsgeste spontan die Hand.

Die überwiegende Mehrzahl füllt ihren Beruf in der Gastronomie, in den Museen und in den Hotels mit einer großer Ernsthaftigkeit, Überzeugung und Qualität aus, die man an anderen Orten sehr lange suchen muss und selten findet. Ihnen allen wünscht man ein Ende der Kurzarbeit, die Chance wieder Einnahmen generieren zu können und die Möglichkeit, Kredite wieder bedienen zu können.

Aber wenn es schon im sehr überschaubaren Qualitätsrahmen schwierig ist, wie kann es im größeren Umfang funktionieren, ohne das zu zerstören, weshalb ich selbst so gerne reise?

Der Fluggast in der Reihe hinter mir ist nicht zu überhören. Er berichtet entrüstet, dass die anderen Mitglieder seiner Wandergruppe beim Raststopp im Lokal keinen Cent Trinkgeld gegeben hätten. „Warum denn, sei doch alles inklusive?“.

Fotografie © GloriousMe

 

 

 

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