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WIE VIEL KLEIDUNG IST ZU VIEL?

WIE VIEL KLEIDUNG IST ZU VIEL?

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Ein Interview, das mich zur Umkehr bewegt hat.

 

In seinem Interview mit der Financial Times weist Guram Gvasalia, einer der Gründer des Modelabels Vetements darauf hin, dass die Modeindustrie gleich nach der Ölindustrie weltweit das zweitgrößte Volumen an Umweltverschmutzung produziert. Ich liebe Mode, aber dieses Interview hat mich zur Umkehr bewegt.

BY THE EDITOR // KARIN M. KLOSSEK

 

Als Insider der Modeindustrie liefert Guram Gvasalia, der 2014 mit seinem Bruder das Modelabel Vetements gegründet hatte und als Creative Director für Balenciaga, Teil des Kering Konzerns, arbeitet, in seinem Interview in der Wochenendausgabe (5./6. August 2017) der Financial Times erstaunliche Zahlen: Im Schnitt werden lediglich 20 Prozent der jeweiligen Markenkleidung im Fachhandel oder Warenhäusern zum regulären Preis verkauft.

Der Rest wird zunächst reduziert und landet daraufhin im Outlet-Center. Da auch dort viele Kleidungsstücke keinen Käufer finden, landen 30 Prozent aller Kleidungsstücke auf der Müllkippe. Welche Verschwendung von Arbeitskraft, Material, Energie und Transport.

Der falsche Schein der Exklusivität

Nun mag man argumentieren, dass die Preise mancher Kleidungsstücke hoch bis unerschwinglich sind und deshalb nur wenige Käufer finden. Wir alle lieben Exklusivität. Wenn es nur so wäre, denn Guram Gvasalia spricht im gleichen Atemzug davon, dass nur ein Teil der jeweiligen Kollektion in den bekannten luxuriösen Flagship-Stores oder exklusiven Warenhäusern landet.

Der Großteil wird für den sogenannten Zweitmarkt produziert, Geschäfte in Destinationen, für die man kein Flugticket geschenkt haben möchte. Auch werden für Outlet-Center spezifische Kollektionen produziert, die vom Markennamen profitieren sollen, aber mit der Marke ansonsten nichts zu tun haben.

“Müll” im Schaufenster von Saks Fifth Avenue New York

Guram Gvasalia räumt mit vielen Illusionen zur Modeindustrie auf und hat dies spektakulär mit Saks Fifth Avenue New York in Szene gesetzt. Die berühmten Schaufenster von Saks Fifth Avenue wurden über einige Wochen hinweg mit Kleidungsstücken des Hauses bestückt, die von Angestellten des Kaufhauses gespendet wurden und Kleidungsstücken, die sich nicht verkaufen ließen.

Während sonst die Saks Fifth Avenue Schaufenster eine Oase des guten Geschmacks sind, in dem luxuriöse Mode in kreativer Form perfekt inszeniert werden, glichen die Schaufenster bis Mitte August einem Kleiderhaufen, der aussah, als hätte man dort einige Altkleider-Container ausgekippt. Nach dem Ende der Aktion gingen die Kleidungsstücke an eine wohltätige Organisation.

PR-mäßig ein phantastischer Coup. Die Branche war im Aufruhr und in nahezu allen Publikationen der Modeindustrie wurde umfangreich diskutiert, ob diese Aktion Kunst, ein politisches Statement oder einfach nur hässlich und unnötig sei. Kompliment – besser kann man keine Aufmerksamkeit für die eigene Marke in einem der wichtigsten Absatzmärkte erhalten.

Guram Gvasalia liefert mit seinen Hinweisen auf die Jahr für Jahr in Kauf genommenen Überproduktion der Modeindustrie auch gleich die perfekten Argumente dafür, dass Vetements-Kleidungsstücke nur in sehr limitierten Mengen produziert werden, mit entsprechend hohem Preis und Exklusivität.

Die Argumente überzeugen mich

Seine Argumente haben mich dazu gebracht, mein eigenes Einkaufsverhalten von Mode kritisch zu überdenken. Eigentlich war ich der Meinung, schon einigermaßen vorbildlich zu sein. Bewahren und Qualität waren mir schon immer wichtig. Ich bin ein guter Kunde von Änderungsschneidereien und stolz darauf, einige Kleidungsstücke so strategisch gekauft zu haben, dass sie auch nach Jahren noch punkten können.

Für die Wegwerfmentalität von Kleidung habe ich absolut nichts übrig. Und extrem niedrige Preise für Kleidung sind aus meiner Sicht ethisch nicht zu rechtfertigen. Oft sind die Sicherheitsstandards und Arbeitsbedingungen, unter denen diese Kleidungsstücke in bitterarmen Ländern hergestellt werden, ebenso niedrig.

Sehe ich mir meine Bilder von schönen Momenten der letzten Jahre an, entdecke ich immer wieder die gleichen Lieblingskleidungstücke an mir, obwohl mein Kleiderschrank ein Vielfaches an Auswahl bereit gehalten hätte.

Clothing Detox lautet nun meine Devise

1. Weniger ist mehr.

Lieber einige wenige Lieblingsstücke als ein übervoller Kleiderschrank. Da ich das Argument „Wurde es im letzten Jahr nicht getragen, weg damit“ für arrogant und verschwenderisch halte, wird der Bestand über Zeit reduziert. Hauptsächlich durch weniger Einkäufe.

2. Die Stoffqualität ist entscheidend.

Nur ein sehr hoher Anteil an Wolle oder reine Seide lässt das Kleidungsstück über Jahre hinweg die Form und Farbe behalten. Dann ist auch ein höherer Preis gerechtfertigt. Reine Plastikombinationen hingegen, wenn sie auch noch so hipp aussehen, kommen nicht mehr in meinen Schrank.

Bei einem Kleidungsstück mit einem hohen Anteil an synthetischen Fasern sehe ich schon die Sorgenfalten auf der Stirn der Expertin in meiner Kleiderreinigung, die das Reinigungslabel eines neuen Kleidungsstücks von mir studiert und weis im Grunde, dass ich aufgrund des hohen Anteils an Kunstfasern keine lange Freude an diesem Stück haben werde.

Siehe auch
Ein GloriousMe Corona Logbuch des Editors Karin Klossek.

Meine Reinigungskosten werden jedoch explodieren, da diese Kunststoff-Schönheiten in der Regel einen übermäßig hohen Reinigungsaufwand verursachen, bevor die Stoffe dann doch relativ schnell unansehnlich werden. Trotz ihres hohen Preises.

3. Keine Event-Käufe mehr.

Trage ich einen sehr wichtigen oder besonders schönen Termin in meinem Kalender ein, ging bislang mein nächster Click oft in eines meiner Lieblings-Modeportale. Dort finde in der Regel genau das ideale Kleid, den perfekten Mantel oder den optimalen Rock für dieses Event.

Sehe ich in einem Laden ein sehr ansprechendes Kleidungsstück, hat meine Kreativität kein Problem, ein mögliches Event dafür zu ersinnen und ich erhalte dafür in der Regel sofort eine Bestätigung. „Buy the dress, the event will come“ meinte die Verkäuferin in der Londoner Bond Street. Bisher getragen: Noch nie.

4. Perfekt oder gar nicht.

Viel zu viele Kleidungsstücke in meinem Schrank sehen perfekt aus, aber passen leider nicht. Der häufigste Grund: Sales. Ist doch kein Problem, mal wieder konsequent abzunehmen, dann passt das perfekt. Oder: Eigentlich ist es zu groß, aber da lässt sich bestimmt etwas machen. Der reduzierte Preis wirkt so verführerisch, dass die Erfahrung oder Vernunft ebenso rasant reduziert werden.

5. Kuratieren kann man auch den Kleiderschrank.

Einige der Kleidungsstücke in meinem Kleidungsschrank, die nie zu Favoriten geworden sind, hatte ich in Eile mit großem Zeitdruck gekauft. Wie viel Zeit wendet man hingegen auf, um Kunst zu kaufen, die in den eigenen vier Wänden hängen soll. Da nimmt man sich Zeit, wählt aus, wägt ab und überlegt sehr kritisch, wie die Kunst im restlichen Kontext aussehen wird.

Ab sofort werde ich zum Kurator meines Kleidungsschrankes und schätze die wenigen perfekten Stücke darin umso mehr.

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