Sie lesen
WARUM TRENNEN WIR UNS VON BÜCHERN SO SCHWER?

WARUM TRENNEN WIR UNS VON BÜCHERN SO SCHWER?

Manche Bücher begleiten einen durchs Leben – wie könnte man sich davon trennen

 

Eine geordnete Bibliothek, ein überquellendes IKEA Regal oder einige wenige Exemplare und der Rest auf dem elektronischen Reader?

Farewell oder Auf Wiedersehen?

Soll das Zuhause leichter werden, fällt es den meisten Menschen schwer, sich von Büchern zu trennen.

Im Vergleich zu anderen Dingen, gibt es bei Büchern eine größere Scheu, sie zu verkaufen, zu verschenken oder anderweitig in die Kreislaufwirtschaft zurückzugeben.

Warum ist das so?

Warum trennen wir uns leichter von Kleidung, Haushaltsgegenständen oder Möbeln im Vergleich zum gedruckten Buch?

Bücher sind Lebensgefährten

Bücher können das eigene Leben prägen. Oft wird in Biographien erwähnt, dass der Zugang zu der Bibliothek des Großvaters oder des Onkels einen wichtigen Einfluss auf den späteren Lebensweg hatte.

 

Ähnlich wie bei Freunden, lernen wir im Laufe des Leben viele Menschen kennen, verlieren uns wieder aus den Augen und es sind nur wenige, die wirklich entscheidenden Einfluss auf das eigene Leben haben.

Statussymbol Bücherwand

Das Buch war in Epochen, in denen nur wenige des Lesens kundig waren, ein Statussymbol. Mit einem Buch ließ man sich gerne auf einem Ölgemälde portraitieren, um auf diese Weise zu demonstrieren, dass man des Lesens mächtig war.

Entrüstete Kritik erhielten wir für einen GloriousMe Artikel zum Thema Videokonferenzen, in dem wir darauf hinwiesen, dass eine Bücherwand als Hintergrund heutzutage kein Beweis mehr für Expertise darstellt und uns für Alternativen aussprachen, die der eigenen Persönlichkeit mehr Raum und Individualität verleihen.

Die dicht gefüllte Bücherwand scheint einigen Befürwortern Halt zu geben. Johann Wolfgang von Goethe lässt hierzu den Faust sprechen:

„Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“

Eine Bücherwand ist noch keine Bibliothek

Vergessen wird dabei gerne, dass eine Bücherwand noch keine Bibliothek darstellt.

Eine Bibliothek, die Büchern durch Ordnung und architektonische Überlegung ein Zuhause gibt, ist zweifellos ein Ort mit einem ganz besonderen Ambiente.

Privatbibliotheken bieten für ihre Besitzer einen besonderen Rückzugsort, im dem sich Bücher studieren aber auch edle Weine und Geist in Flaschen genießen lassen.

Bibliotheken in Klöstern und Universitäten sind Orte, in denen wichtige Erkenntnisse oft über Jahrhunderte gesammelt und sorgfältig dokumentiert wurden.

Wer wäre nicht von der Bibliothek des Stift Kremsmünster oder der Bibliothek im Stiftsbezirk von St. Gallen begeistert?

Im Alltag ist es eher ein IKEA Regal, in dem die Bücher eng gestapelt auf den berühmten verregneten kalten Tag im November warten, an dem sie gründlich sortiert und gelesen werden.

Ein festes Band zum Bücherband

Es fällt uns schwer, Bücher loszulassen. Vor etlichen Umzügen, halten wir einzelne Bücher viele Male in der Hand, um sie dann doch wieder ins Regal zurückzustellen und (mal wieder) in die Umzugskisten einzupacken.

Die Kriterien sind immer die gleichen, die das Buch vor dem Verkaufen oder Verschenken zurück ins heimische Bücherregal retten:

  • Das Buch war so hervorragend, das möchte ich nochmals lesen
  • Irgendwann habe ich die Zeit, mich mit Muße in diesen Bildband zu vertiefen
  • Es ist ein geschätztes Geschenk und trägt möglicherweise sogar eine Widmung
  • Es gibt (noch) niemanden, der das Buch als Zweitleser so schätzen wird, wie wir

Es ist ein starkes emotionales Band, das uns mit so manchem Lyrikband, Roman, Sachbuch oder Kunstbuch verbindet,

 

ein Band, das stärker ist als alle rationalen Argumente. So überstehen viele Bücher eine ganze Reihe von Umzügen, bevor man sich von ihnen trennt, denn radikales Aufräumen und Entsorgen verschafft kostbare Leichtigkeit im eigenen Zuhause.

Welche Bücher haben den Lebensweg bestimmt?

Auch meine Bücherwand enthält, trotz vieler Umzüge und unzähligen Kuratierungsdurchgängen, noch einige Bücher, deren Papier teilweise schon vergilbt ist, da sie mich seit vielen Jahrzehnten begleiten.

Jedes davon, war im Rückblick vor vielen Jahren ein Wegweiser auf das, was mir bis heute wichtig ist:

Thomas Mann

Der Zauberberg

Die Liebe zur Schweiz und zu Schweizer Grandhotels sowie der Hang zu langen Satzkonstruktionen wurde ganz sicher durch dieses Buch genährt.

Julius Caesar

Siehe auch

Der Gallische Krieg

Worte wie in Stein gemeiselt. Sie haben die Überzeugung geprägt, dass nicht alles praktisch und dem Zeitgeist entsprechen muss. Im Gegenteil

John Steinbeck

Die Früchte des Zorns

Eindringlicher kann man den harten Weg und die Bedeutung des amerikanischen Traums nicht schildern. Nur einige ausgezeichnete Fotografen, wie beispielsweise Walker Evans, schaffen das.

Time Life

Die Küche vom Wiener Kaiserreich

Das aufwändig produzierte Buch, vor vielen Jahren vom Taschengeld erworben, erzählt von einer vergangenen Zeit, verbindet Geschichte, Landschaften und Küchen und spannt so den Bogen vom Szegediner Gulasch zu den aufwändigen Torten der Wiener Zuckerbäckerei.

Bis heute ist es Genuss mit Geschichte, die mich begeistert.

Jules Verne

In 80 Tagen um die Welt

Alle Bücher von Jules Verne habe ich als Kind verschlungen. Dieses Buch lag mir besonders am Herzen und der englische Gentleman Phileas Fogg hat alle Umzüge überstanden.

Und auch die Lust und Freude am Reisen und Entdecken sowie die Liebe zu England ist geblieben.

Gestern statt Morgen?

Verstellen Bücher aus der Vergangenheit als sentimentale Restanten den Blick auf Neues? So lange es bei den vier Büchern (und allen Programmheften guter Operninszenierungen) bleibt, ist mir nicht bang.

Welche Bücher haben Sie für Ihre gesamtes weiteres Leben beeinflusst?

 
Fotografien | Collagen © GloriousMe
 
Historische Bibliothek St. Gallen Bleistift, UNESCO Weltkulturerbe, Prisma by Dukas Presseagentur GmbH / Alamy Stock Foto
 
Titelfoto: Stadtbibliothek Stuttgart, Diego Grandi, Alamy Stock Foto 

 

 
 

 

 

Print Friendly, PDF & Email
Nach oben